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23. Juli 2021
Redaktion
Lieferketten / Medizinprodukte

Kliniken schauen vermehrt auf nachhaltige Lieferanten

„Sustainable“ – dieser Begriff könnte die nächsten Jahre auch für Lieferanten von Krankenhäusern eine wachsende Rolle spielen. „Nachhaltig“, „umweltverträglich“ sind die deutschen Begriffe dafür. Das im Juni vom Bundestag verabschiedete Lieferkettengesetz hebt das Thema auf die Agenda. Beim digitalen Kongress „Zukunft Krankenhaus-Einkauf“ (ZUKE) spielte das Thema auch eine Rolle. Denn von 2023 an sollen Unternehmen ab 3.000 und 2024 auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern ihre gesamte Lieferkette im Blick haben. Dazu gehören auch viele Krankenhäuser.
Foto: anncapictures/Pixabay

Das heißt: Sie wiederum werden von ihren Lieferanten Informationen darüber einfordern, ob diese bei der Beschaffung und Herstellung etwa bei Medizinprodukten darauf achten, dass z. B. Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Erkannten Missständen müssen sie abhelfen, ansonsten drohen Bußgelder oder der Ausschluss aus der öffentlichen Beschaffung.

Nachhaltiges Handeln als Standard

Beim ZUKE-Kongress informierten Yvonne Jamal vom Jaro Institut e.V. und Steffi Kirchberger von der Jaro Services GmbH über die Grundzüge einer nachhaltigen Beschaffung. Das Jaro-Institut ist ein seit rund drei Jahren bestehender gemeinnütziger Verein aus Berlin. Er hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass nachhaltiges Handeln zum Standard für die Wirtschaft wird. Dazu zählen die Sparten Beschaffung, Tourismus und Digi­talisierung. Laut ISO 20400:2017 ist nachhaltige Beschaffung definiert als „Beschaffung, die die bestmöglichen Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft über den gesamten Lebenszyklus hat“.

Jamal betonte die begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten und die Menschenwürde, die es mit der Ökonomie zu beachten gilt. Die Vereinten Nationen haben 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) als globales Zielbild beschlossen, die 2030-Agenda folgt laut Definition des Bundesumweltministeriums „dem Grundsatz, auch die Schwächsten und Verwundbarsten der Welt mitzunehmen, und hat den Anspruch, auch kommenden Generationen die Chance auf ein erfülltes Leben zu sichern“.

Foto: privat
Yvonne Jamal und Steffi Kirchberger von JARO stellten die Grundzüge nachhaltiger Beschaffung vor, Aspekte, die Krankenhäuser künftig von ihren Lieferanten einfordern könnten.

Sorgfaltspflichtengesetz

Weil der 2016 verabschiedete Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) nicht ausreichend umgesetzt wurde, werden die UN-Leitprinzipien jetzt in einem Sorgfaltspflichtengesetz festgeschrieben, wie das Lieferkettengesetz auch genannt wird. Dieses soll noch vor der Bundestagswahl im September verabschiedet werden.

Auch freiwillig beachten

Betroffen sind Unternehmen, die in Deutschland die Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder den Sitz haben. Rund 600 gehören zu den großen Unternehmen der ersten Gültigkeitsstufe, knapp 2.900 zu denen ab 1.000 Arbeitnehmern. Auf Nachfrage von MTD, ob sich die kleineren Unternehmen dann nicht darum kümmern müssen, antwortete Jamal herausfordernd: „Wollen Sie nachhaltig sein oder nur Gesetze befolgen? Firmen können sich auch freiwillig darum kümmern, indem sie Verantwortung im Beschaffungsprozess übernehmen.“

Menschenrechte und Umweltschutz

Zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zählen u. a. Gesundheit, gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, Kinderschutz, Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit. Unter die umweltbezogenen Pflichten fallen der Schutz vor Quecksilberemissionen und organischen Schadstoffen. Die Unternehmen müssen die Sorgfaltspflichten für jeden Standort im In- und Ausland anwenden.

Außerdem müssen sie die Lieferkette von der Rohstoff-Gewinnung bis zur Lieferung an Endkunden im Blick behalten; dies beinhaltet auch die Überwachung der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer. Bei Anzeigen von Verstößen müssen die Unternehmen reagieren. Kontrollbehörde ist die Bundesanstalt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Die Unternehmen trifft zwar, so Jamal, keine zivilrechtliche Haftung, wohl aber die Androhung von Bußgeldern bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes und bis zu drei Jahre Ausschluss von der öffentlichen Vergabe.

Verantwortung beim Einkauf

Im Gesetz wird die Rolle der nachhaltigen Beschaffung betont, so die Referentin. Demnach muss die Einkaufsabteilung eines Unternehmens die Nachhaltigkeitsziele „angemessen berücksichtigen“. Dazu zählen Prävention und die Implementierung geeigneter Einkaufspraktiken. Jamal: „Die Kliniken werden von allen ihren Lieferanten eine entsprechende Transparenz anfragen. Betroffen vom Gesetz sind im Endeffekt alle Firmen, die einkaufen.“ Zu den Kernelementen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zählen:

  • Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte
  • Einrichtung eines Verfahrens zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte
  • Maßnahmen zur Abwendung negativer Auswirkungen und Überprüfung der Maßnahmen
  • transparente Berichterstattung
  • Einführung eines Beschwerdemechanismus

Druck rausnehmen

Jamal riet den Einkaufsabteilungen der Krankenhäuser, zu den Gesprächen mit den Lieferanten auch deren Einkaufsleiter einzuladen. Dabei sollte auf Augenhöhe geschaut werden, welche Maßnahmen die Lieferanten schon ergriffen haben. Die Expertin riet auch, nicht allein auf Zertifikate zu setzen, da diese gerade für kleinere Unternehmen eine Hürde darstellen können. Entscheidender sei eine gezielte Entwicklung von Lieferanten und ein geeignetes Unterstützungsangebot in der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen.

Gleichzeitig betonte sie, die ersten Schritte zu einer nachhaltigen Beschaffung seien „kein Hexenwerk“. So sollten zunächst nachhaltige Beschaffungsziele definiert und die wichtigsten Waren­gruppen entsprechend bewertet werden. Der entscheidende nächste Schritt sei die Formulierung einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie und die Umsetzung im Rahmen eines Beschaffungsprogrammes, welches konkrete Handlungsmaßnahmen bündelt, terminiert und Verantwortlichkeiten regelt (eine solche Maßnahme ist dann z. B. die Anpassung der AEB).

Dann müssten nachhaltige und transparente Kriterien für die Lieferantenauswahl und -bewertung festgelegt werden. Mit den Lieferanten sollte fair zusammengearbeitet werden. Im Rahmen der Erfolgskontrolle gelte es, Ziele zu stecken, Mitarbeiter einzubeziehen und transparent über den Fortschritt und die Herausforderungen zu berichten.

Beispiele aus der Praxis

Aus der Praxis führte Jamal einige Beispiele an. So stellte sie Circleg-Prothesen vor, die aus zertifiziertem recyceltem Kunststoff hergestellt werden und mit günstigen Preisen gerade für Menschen in Niedriglohn-Ländern geeignet seien. Nachhaltige Logistik sei auch über Mobi­litätsbudgets etwa zur Umstellung des Fuhrparks denkbar. Bei Beschaffung und Kundenbelieferung könnten wiederverwendbare Paket­boxen verwendet werden. Bei Berufsbekleidung könnte man auf einen fast ausschließlichen Anteil von Naturfasern setzen, womit das Ausscheiden von Mikroplastik reduziert werde. Auch die Verlängerung des Lebenszyklus von IT-Hardware etwa durch Wiederaufarbeitung könnte ein nachhaltiges Projekt darstellen.

Foto: privat
Klinikeinkäufer Stefan Krojer ist der kreative Kopf hinter dem ZUKE digital.

Jaro bietet auf seiner Lernplattform einen Kurs „Certified Sustainable Procurement Professional“ an. Das Programm umfasst 40 Module zum Thema nachhaltige Beschaffung und verant­wortungsvolle Lieferketten. Infos: www.jaro-academy.com/portal/

ZUKE digital

Der 2. ZUKE Digital-Kongress für den Klinik-Einkauf zählte Anfang März knapp 400 registrierte Teilnehmer aus Deutschland sowie vor allem dem benachbarten Ausland. Konstant waren über 220 Teilnehmer im Livestream über den gesamten Kongress dabei. 33 Redner sorgten für acht Stunden Inhalte (Vorträge, Workshops, Panels, Networking). – MTD war einer der Medienpartner.
Infos: www.zuke-digital.de

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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