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Dr. Malte Klar. Foto: privat

Hier stelle ich zwei provokante Thesen zur Debatte und möchte Sie zur Diskussion und zum Widerspruch auffordern:
These 1: Die Zeit des Wachstums durch Übernahmen und Zukäufe im Homecare-, und Sanitätshausmarkt geht dem Ende entgegen. 
Insbesondere im Homecare-Markt ist die Konsolidierung bereits weit fortgeschritten. Es fehlt an interessanten und gleichzeitig verkaufswilligen Kandidaten. Die Finanzierung wird besonders für Private-Equity-Fonds durch ein auf absehbare Zeit ansteigendes Zinsniveau immer teurer, und damit wird auch die erfolgreiche Entwicklung der Portfolio-Unternehmen deutlich schwieriger. 
Für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) ist ein Verkauf und der damit verbundene Erlös oft nicht ausreichend, um auf ein regelmäßiges Einkommen verzichten zu können oder zu wollen.
These 2: Die Zukunft liegt insbesondere für KMUs in der Vernetzung mit anderen Marktteilnehmern.  
Dabei heißt „vernetzen“ nicht nur „digitalisieren“. Ein ineffizienter Geschäftsprozess wird nicht dadurch effizient, dass ich ihn digital abbilde. Vielmehr geht es darum, sich mit anderen Homecare- und Sanitätshaus- Leistungserbringern horizontal zu vernetzen. 
Besonders interessant ist es auch, sich mit Herstellern, Krankenhäusern und vor allem mit der ambulanten und stationären Pflege vertikal zu vernetzen. 
Und ja – ist die Vernetzung strategisch durchdacht und die Struktur definiert, gilt es, sich auch digital intelligent zu vernetzen. Es braucht Integrationsplattformen mit flexiblen Schnittstellen, die bestehende Systeme anbinden und die Partner zuverlässig verbinden können. 
Es wird eng
In der MTD-Ausgabe vom Juli 2021 haben wir horizontale Kooperationen zwischen Homecare-Unternehmen oder mit Sanitätshäusern als Zukunftsstrategie für KMUs in einem sich stark und schnell konsolidierenden Homecare-Markt, der von strategischen und Finanz-Investoren getrieben wird, zur Diskussion gestellt.
Im vergangenen Jahr waren die Klima-krise, die Pandemie und die MDR die vorherrschenden Herausforderungen und wirkten in Teilen sogar positiv beschleunigend auf längst überfällige Veränderungsprozesse wie z. B. die Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung und Telemedizin.
Inzwischen hat sich der Horizont deut-lich verdunkelt, auch wenn die Gesund-heitsbranche naturgemäß krisenfester ist als die meisten anderen. Der Krieg in der Ukraine, die galoppierende Inflation, eine erneute Pandemiewelle im Herbst, anhaltende Versorgungsengpässe insbesondere mit Energie, die knapper werdenden staatlichen Ressourcen und der demografische Wandel, der uns in den kommenden Jahren mit Macht und leider schlecht vorbereitet treffen wird, stellen uns vor gewaltige Herausforderungen.
Der Ökonom Hans-Werner Sinn warnt in einem Interview des „Münchner Merkur“ vom 26. Februar: „Der Staat wird heillos überfordert sein“, auch ohne den Ukraine-Krieg gäbe es Grund zur Sorge, Deutschland habe den demografischen Wandel verschlafen und könne den heutigen Wohlstand nicht mehr garantieren. Wenn die Babyboomer in Rente gehen, würden die demografischen Probleme überhandnehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es aus eige-nem, aber auch gesellschaftspolitischem Interesse unsere Aufgabe als Hersteller, Händler und Leistungserbringer, in un-serem Markt für Hilfs- und Verbandmittel sowie Ernährungstherapien effiziente Strukturen zu schaffen, die nachhaltig und intelligent die Patientenversorgung ökonomisch und in angemessener Qua-lität sicherstellen.
Vernetzen braucht Verbindlichkeit
Die horizontale Vernetzung zwischen Partnern, die sich ergänzen (zwei Homecare-Unternehmen oder ein Homecare-Unternehmen und ein Sanitätshaus), kann eine Strategie sein, sich auf die eigenen Stärken (Versorgungsbereiche) zu konzentrieren, die eigene Effizienz zu erhöhen und dem Kunden trotzdem die häufig gewünschte Komplettversorgung anzubieten.
Die Herausforderungen bleiben dieselben wie bei einer Übernahme, nur ohne das Risiko der Investition. Wir wissen, dass gerade im Homecare-/Sanitätshaus- und Hilfsmittelmarkt längst nicht alle Übernahmen ein Erfolg waren. Oft scheitert es an den unterschiedlichen Unternehmenskulturen, den Systemen und Prozessen, weil die Integration nicht von Anfang an mitgedacht und geplant worden ist. 
Fehlende Transparenz, schlechte oder fehlende Kommunikation mit der Kundschaft sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führten dazu, dass mit der Übernahme zwar ein Wettbewerber aus dem Spiel genommen werden konnte, aber der Unternehmenswert sowohl des  Käufers als auch des Verkäufers verringert worden ist; 1 plus 1 war dann vielleicht 1,5 ,aber nicht mehr 2 und schon gar nicht 2,5!
Dieselben hier beschriebenen Herausforderungen stellen sich bei der horizontalen Vernetzung, sprich einer Kooperation zwischen Partnern auf einer Versorgungsstufe ohne Übernahme:

Es müssen Regeln her für die Zusammenarbeit – wer macht was?
Es braucht ein Budget, die Partner müssen investieren.
Die juristischen Fallstricke, Patientenzuweisung, die §§ 299 a & b und die Abrechnung mit den Krankenkassen müssen geklärt und sauber abgebildet werden. 
Eine große Herausforderung bleiben die IT-Systeme. Hier gilt es, Plattformen zu schaffen, damit die Systeme der Partner integriert werden und über Schnittstellen kommunizieren können. 

 

 
Das Mitarbeiter-Team ist der Dreh- und Angelpunkt
Das Allerwichtigste aber bleiben die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie müssen mitgenommen und für die Strategie gewonnen werden. Da heißt es erklären, transparent sein und begeistern. Und sie alle interessiert vor allem eines: „Was bedeutet das für mich und wie geht es für mich weiter?“
Es bleibt festzustellen, dass es bis heute meines Wissens kaum Beispiele für ge-lungene horizontale Vernetzung gibt Lockere Kooperationen ohne verbindliche Vereinbarungen und gegenseitige Verpflichtungen werden immer wieder mal gestartet, sind aber meiner Kenntnis nach nicht wirklich erfolgreich.
Die Übernahmen etwa der GesundHeits GmbH Deutschland (GHD) in der Vergangenheit oder aktuell der Auxilium-Gruppe, bei denen das Management der übernommenen Unternehmen zwar an Bord bleibt und teilweise auch noch an dem neuen Unternehmen beteiligt ist, gehen zwar leise in Richtung Vernetzung, sind aber im Grunde doch Übernahmen – verbunden mit erheblichen Investitionen auf Käuferseite und eben gerade nicht Beispiele für eine Vernetzung zwischen gleichberechtigten Partnern. Das zentrale Manko: Neben allen oben aufgelisteten Punkten fehlt vor allem auch das gegenseitige Vertrauen zum bisherigen Wettbewerber.
Rahmenbedingungen gestalten
Auch für die vertikale Vernetzung zwischen Leistungserbringern unterschiedlicher Versorgungsstufen gibt es nur Beispiele der Konsolidierung, in denen die Unternehmen sich strategisch nach vorne oder auch rückwärts integrieren, um die Wertschöpfungskette zu verlängern und sich die Marktzugänge zu sichern:

Krankenhaus/Homecare; z. B. Asklepios/Aponova,
Hersteller/Homecare; z. B. Fresenius/Fresucare oder Coloplast/Coloplast Homecare oder B. Braun/B. Braun Homecare,
Homecare/Großhandel; z. B. GHD/Sangro oder HOZ/Wundex,
Krankenhaus/Entlassplattform; z. B. Asklepios/Care Bridge (heute Dedalus HealthCare/Care Bridge) oder B. Braun/B. Braun Entlassplattform,
Homecare/Pflege; z. B. Aiutanda/Selimed oder Renafan.

Eine vertikale Vernetzung von Leistungserbringern unterschiedlicher Versorgungsstufen oder mit Herstellern, ohne dass der eine den anderen übernommen hat, gibt es nach meiner Kenntnis noch nicht.
Die Tatsache, dass es hier in der Regel um Kunden-Lieferanten- bzw. Kunden-Dienstleister-Beziehungen geht, macht es schwierig, diese Strukturen zu formalisieren. Sofort sieht man sich mit Wettbewerbsverzerrung, Patientenzuweisung, Verletzung der Compliance-Paragraphen 299 a & b SGB V konfrontiert.
Aber wenn sich diese Strukturen erwie-senermaßen innerhalb eines Unternehmens oder auch einer Unternehmensgruppe aufbauen lassen, dann ist doch nicht zu verstehen, warum zwei oder mehr Partner in einer solchen Struktur nicht offiziell und transparent und völlig legal zusammenarbeiten dürfen. 
Mut zum Vernetzen
Ich behaupte, nur vernetzt – horizontal, aber vor allem auch vertikal – lässt sich die Patientenversorgung in der Zukunft darstellen. Nur vernetzt werden anspruchsvolle Versorgungsqualität verbunden mit wirtschaftlichem Erfolg der Akteure möglich sein und sich die Menge der beschriebenen Herausforderungen bewältigen lassen. Natürlich gilt es hier noch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen und weiterzuentwickeln, damit sich die beschriebenen Vernetzungen umsetzen lassen.
Zur Erinnerung: Als der Homecare-Markt Ende der 80er-Jahre entstanden ist, waren weder die Versorgungsberechtigung noch die Erstattung klar geregelt. Mutige Pioniere haben den Markt entwickelt und die Strukturen im Dialog mit den Akteuren im Gesundheitswesen gestaltet. Veränderung ist also möglich. Der Weg wird lang und steinig sein, aber ich bin überzeugt, er ist ohne Alternative. 
Ich hoffe, mit diesem Artikel einen Bei-trag zu leisten, dass die Debatte Fahrt aufnimmt und die Beteiligten – Kassen, Politik, Patienten, Juristen und diverse Verbände wie BVMed und VVHC – in den Diskurs einsteigen und an Lösungen arbeiten. Es bleibt noch Zeit.
 
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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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