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24. Juni 2021
Redaktion
Supply Chain im Krankenhaussektor

Lieferanten müssen sich künftig mehr strecken

von Dr. Christoph Luz, Geschäftsführer Deutschland, Schweiz und Niederlande, Global Healthcare Exchange/GHX

Covid-19 stellt die Supply Chain im Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Aufgrund von Lieferengpässen prüfen Krankenhäuser die Beziehungen zu ihren Lieferanten und definieren neue Anforderungen. Die damit verbundenen Konsequenzen treffen Hersteller, Distributoren und Fachhändler gleichermaßen.

Viele Lieferanten mussten zu Beginn der Pandemie die Erfahrung machen, dass sie plötzlich nicht mehr in der Lage waren, ihren Kunden verlässliche Aussagen zu Bestellungen und Lieferungen zu machen, vor allem im Bereich von PSA. Ein großer Kritikpunkt der Kunden dabei: der kommunikative Umgang mit den Lieferengpässen.

Verlässliche Kommunikation

Kliniken beklagten, dass es ihnen an einer offenen und verlässlichen Kommu­nikation fehlte. An Vertrauen gewinnen konnte hier, wer klare Aussagen gemacht hat – auch über die eigene Lieferunfähigkeit. Diese Kritik sollten Lieferanten ernst nehmen und ihre Kundenkommunikation dahingehend überprüfen. Von Vorteil ist es in dieser Situation, aktiv das Gespräch mit den Kunden zu suchen und sich auf gemeinsame Kommunikationsrichtlinien zu einigen.

Umstellung weg von just in time

Auch wenn es jahrelang gut ging: Die Pandemie hat die Gefahr der globalisierten Just-in-time-Supply-Chain offenbart. Diese Erkenntnis bringt ganze Lieferkettenmodelle ins Wanken. Zulieferer, Hersteller, Händler und Kunden müssen hier neue Frühwarnsysteme etablieren, die Engpässe bereits dann erkennen, wenn die Auswirkungen noch gar nicht spürbar sind. Hierbei spielen globale Daten eine wich­tige Rolle, etwa über Krisen, politische Spannungen, Naturkatastrophen, Epidemien, die sich in Pandemien ausweiten können, und vieles mehr. Solche Daten, zuverlässig erhoben und in Bewer­tungssysteme eingespeist, können hel­fen, Risiken zu erkennen, bevor es zu spät ist.

Diversifizierung der Risiken

Neben mehr Transparenz über die aktuelle Liefersituation fordern Krankenhäuser künftig zudem tiefere Einblicke in die Produktions- und Lieferketten ihrer Lieferanten. Sie werden neue Kriterien in ihre Scoring-Modelle aufnehmen oder diese neu gewichten:

  • Wo sind die Produktionsstandorte?
  • Wie viele gibt es?
  • Wo und wie groß sind die Lager­kapazitäten?
  • Wie stark ist ein Hersteller von einzelnen Zulieferern abhängig?

Das bedeutet: Im Lieferanten-Scoring werden diejenigen punkten, die breit aufgestellt sind und damit den Kliniken möglichst minimale Risiken bieten. Lieferanten müssen also umdenken und in ihre eigenen Risikomanagementsysteme investieren. Das kann sogar bedeuten, einen Teil der Produktionsstand­orte wieder zurück auf europäischen Boden zu holen sowie neue dezentrale Lagerkapazitäten zu schaffen.

Auch die eigenen Zulieferer sollten Hersteller genau unter die Lupe nehmen: Wie groß ist deren Risiko, in Engpässe und Schwierigkeiten zu geraten? Experten raten dazu, stärker auf Diversifizierung zu setzen, also mit mehreren geografisch verteilten Zulieferern zusammenzuarbeiten. Wer seinen Kunden ein solides, valides Risikomanagementsys­tem präsentiert, kann Vertrauen zurückgewinnen oder stärken.

Kreativität gefragt

Die Pandemie hat zudem gezeigt, dass in extremen Krisenzeiten schnell lokale Alli­anzen geschmiedet oder kreative Lösungen herbeigeführt werden, um das Risiko von Engpässen zu verhindern. Ein aktuelles Beispiel ist die Uniklinik-Köln: Als erstes Krankenhaus in Deutschland hat man sich mit einer eigenen Masken-Produktionsstätte unabhängiger von internationalen Lieferengpässen gemacht. Um solche Chancen für sich zu nutzen, sollten Lieferanten mit ihren Kunden ins Gespräch gehen und auch neue, kreativere Formen der Zusammenarbeit in Betracht ziehen. Eine noch engere Verzahnung von Forschung, Entwicklung und Produktion ist hier sicher ein sinnvoller Weg.

„Made in Germany“ für mehr Supply-Chain-Sicherheit

Am Beispiel der Uniklinik Köln lässt sich ein weiterer Trend ablesen: Man setzt dabei komplett auf den Ansatz „Made in Germany“. Die Produktionsanlage wurde in Düsseldorf gebaut, den Stoff für die Masken bezieht die Klinik aus Bayern und die Bänder sowie den Draht von einer Firma aus Wuppertal. Auch die Nationale Gesundheitsreserve setzt auf „Made in Germany“. Ab 2022 soll sie laut Gesundheitsminister Jens Spahn vor allem aus Material aus Deutschland bestehen. Bislang beziehe man dieses u. a. aus China. Durch den ver­stärkten Fokus auf Sicherheit und Resilienz in der Lieferkette gewinnt der Produktions- und Lagerstandort Deutschland bzw. Europa wieder an Attraktivität für Hersteller.

Schärferer Wettbewerb unter Lieferanten

Mit der Abkehr der Krankenhäuser vom Single-Sourcing hin zum Multi-Sourcing steigt der Wettbewerbsdruck auf Lieferanten. Denn wer sich bislang als Hauptlieferant bei einem Kunden sicher fühlen konnte, spielt künftig im Kanon mit zahlreichen Wettbewerbern, da auch Kliniken auf Diversifizierung setzen. Lieferanten sollten sich daher frühzeitig in die Planungs- und Beschaffungsprozesse der Kunden involvieren und das Gespräch suchen, um mit diesen gemeinsam eine akzeptable Lösung zu finden. Zusätzliche Service-Angebote für die Kliniken können hilfreich sein, um sie stärker an sich zu binden.

Dazu gehören zum Beispiel Informationen und erweiterte Gebrauchsanweisungen für das Pflegepersonal, neue Online-Schulungsmethoden, Schulungsvideos und vieles mehr. Auch hier sollten Hersteller kreativ sein und ihre Angebote an den konkreten Bedarf und die aktuelle Situation in den Kliniken anpassen.

Sich auf neue Vertragsklauseln vorbereiten