Bestechung und Bestechlichkeit
Die Korruptionstatbestände der §§ 299a und 299b StGB stellen viele Fälle unter Strafe, in denen ein Angehöriger eines Heilberufs ökonomische Interessen dem Patienteninteresse vorzieht. Die Korruption im Gesundheitswesen hat jedoch viele Gesichter. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über typische Sachverhalte in der Praxis bieten.
Korruption im Gesundheitswesen ist seit vielen Jahren in aller Munde. Sie hat insbesondere mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ vom 4.6.2016 als Reaktion auf das ablehnende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Strafbarkeit von Vertragsärzten wegen Korruptionsdelikten vom 29.3.2012 zu zahlreichen Publikationen und Bearbeitungen geführt. Zur Überraschung juristischer Laien bleiben jedoch angestellte oder verbeamtete Ärzte sowie andere abhängig Beschäftigte im Gesundheitswesen nicht außen vor. Vielmehr sind für sie nach wie vor die teilweise sogar strengeren §§ 331 ff. StGB für Amtsträgerkorruption sowie die Tatbestände des § 299 StGB mit den Begehungsmöglichkeiten zum Nachteil des fairen Wettbewerbs oder mittlerweile der Interessen des Geschäftsherren maßgeblich. Als spezielle Ergänzung treten die neuen §§ 299a und 299b StGB als Strafnormen für das Gesundheitswesen hinzu, wobei im Wesentlichen besonders wichtige berufs- und sozialrechtliche Gebote und Wertungen zum Schutz eines fairen Gesundheitswettbewerbs und zumindest mittelbar des Patientenvertrauens in unabhängige Heilberufsausübung aus dem SGB V, der MBO-Ä und der MBO-Z strafrechtlich erfasst werden.
Sehr strenge Kodizes
Erfahrungsgemäß stellen sich gerade den als Nichtjuristen betroffenen Beschäftigten im Gesundheitswesen sehr viel konkretere Fallfragen. Wertvolle Hilfen hierzu liefern Branchen- sowie Verbandskodizes, -leitlinien und -empfehlungen, aus denen sich deutlich kleinteiligere Hinweise und Beispiele entnehmen lassen. Jedoch sind diese Werke regelmäßig deutlich strenger als die (straf-)rechtlichen Anforderungen; es geht nämlich auch darum, den bereits schwer aushaltbaren strafrechtlichen Ermittlungsdruck zu vermeiden. Dieser Beitrag versucht durch eine Zusammenstellung aus Themengruppen, Schulungsfallbeispielen, praktischen Erfahrungen und einer Fallsammlungsauswertung einige Antworten zu geben, zu sensibilisieren und Wissenslücken zu schließen, um die tatbestandlich vorausgesetzte Verknüpfung von Unrechtsvereinbarung als unlautere Bevorzugung im Gesundheitswettbewerb gegen Vorteilszuwendung zu veranschaulichen.
Sozialadäquate Zuwendungen
Für die Praxis ist hierbei die sogenannte Sozialadäquanz als wertvolles Indiz gegen eine Unrechtsvereinbarung sehr wichtig. Sozialadäquate Zuwendungen sind Vorteilsgewährungen so geringen Umfangs im Rahmen allgemeiner Höflichkeitsregeln oder der Verkehrssitte, dass sie zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen als ungeeignet gelten.
Top-Korruptionsthemen
Nachfolgend finden sich einige Top-Korruptionsthemengruppen, die sich als Einfallstore vor allem für Korruption im Gesundheitswesen, aber auch im geschäftlichen Verkehr oder bei Korruption von Amtsträgern und damit als Anlässe für strafrechtliche Ermittlungen herausgestellt haben. Es werden den einzelnen Bereichen möglichst praxistypische Fallkonstellationen zugeordnet. Überschneidungen und Grenzfälle sind dabei zwar unvermeidlich, aber unschädlich; Vollständigkeit ist leider nicht möglich.
Auftragsvergaben sowie Beschaffungen von Medizinprodukten
Bei Auftragsvergaben und Beschaffungsentscheidungen kann jedes wirtschaftlich auffällige Ungleichgewicht einer Vereinbarung Vermutungen über verdeckte Begleitinteressen und damit Ermittlungsrisiken auslösen. So sind Vergünstigungen oder Arzneimittel, Hilfsmittel oder Medizinprodukte und sonstige Geräte oder Produkte für den Praxis- oder Krankenhausbedarf als Zugaben gegen Bevorzugungen bei Einkaufsentscheidungen über andere Beschaffungsobjekte korruptionsstrafrechtlich erfasst, wenn der Entscheider Amtsträger oder Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes ist. Auch Umsatzbeteiligungen an Arzneimittel- oder Medizinprodukteherstellern sind innerhalb geschäftlicher Beziehungen problematisch, denn die Abgrenzung erfolgt anhand der tatsächlichen Spürbarkeit des Einflusses der Beschaffung auf den individuellen Erlös. Erlaubt sind somit Kapitalbeteiligungen mit allgemeiner Gewinnausschüttung inklusive reiner Umsatzerwartung.
Einladungen, Bewirtungen, Werksbesichtigungen
Einladungen zu Freizeitveranstaltungen wie Fußballspielen sind außerhalb von aktuellen Wettbewerbssituationen oder gar Absatzverknüpfungen und Zuweisungsvereinbarungen grundsätzlich möglich, solange durch diesen Vorteil im Sinne der Sozialadäquanz keine besondere Motivation zu wettbewerblicher Bevorzugung geschaffen wird. Das sollte auch bei (Arbeits-)Essens-einladungen innerhalb einer 40- oder 50-Euro-Grenze pro Essen, zu kleinen Imbissen oder in Betriebskantinen möglich sein, wobei sachfremde Begleitpersonen oder Amtsträger sowie begleitende Angebote mit Vergnügungscharakter ausscheiden. Bei Folgeeinladungen ist präventiv auf Wechselseitigkeit zu achten, wogegen eine Stückelung durch mehrere Einladungen zu Umgehungszwecken unterbleiben muss.
Drittmittelforschung
Auf Basis der Grundsätze adäquaten Leistungsaustauschs, eindeutiger Leistungsbeschreibung und -dokumentation, transparenter Darstellung von Art, Umfang, Zeit, Beziehungen zu Mittelgebern und Kostenkalkulation sowie weitestmöglicher Unabhängigkeit von Beschaffungen sind u. a. die früher beliebten Aufwandsentschädigungen der Pharmaindustrie für klinische Studien oder Anwendungsbeobachtungen als Vorteil für bevorzugte Produktverordnungen verboten. Präventiv besonders wichtig ist deshalb die Bemessung von Aufwandsentschädigungen an qualifikations- und einsatzangemessenen Maßstäben, wobei gerade bei Forschungsprojekten mit Gesamtaufwänden verlässliche Summen schwer zu nennen sind. Immerhin dürften 150 Euro für einstündiges Ausfüllen eines umfangreichen Dokumentationsbogens mit Freitextbedarf nicht zu beanstanden sein, während umgekehrt der Betrag von 500 Euro für wenige Arbeitsminuten ein starkes Indiz für korrupte Verordnungs- oder Beschaffungspraktiken darstellt.
Fortbildungen, Produktschulungen
Die Übernahme ärztlicher Fortbildungs- oder Reisekosten, insbesondere durch Pharmaunternehmen, ist bei wissenschaftlichen Veranstaltungen oder allgemeiner Vertrauenswerbung generell zulässig. Allerdings beginnt das Korruptionsrisiko jenseits von Kostenübernahmen für Teilnahmegebühren, Reise- und Übernachtungskostenerstattungen sowie Bewirtungen als fachlichkeitsbegleitende Versorgung in angemessener, in Relation zum Gesamtveranstaltungswert untergeordneter Höhe. So sind z. B. ärztliche Übernachtungskosten in einem Vier-Sterne-Hotel und Teilnahmegebühren von 500 bis 1.000 Euro für zwei Kongresstage eines Arzneimittelherstellers zulässig. Bei einer „Luxus“-Unterbringung in Hotels mit fünf oder mehr Sternen, bei „Gourmet“-Verpflegung oberhalb einer 60-Euro-Grenze, bei fremdfinanzierten Unterhaltungs- oder Freizeitprogrammen, bei Kostenübernahmen für Begleitungen, bei sonstigen Rahmenvorteilen oder gar bei Absatzverknüpfungen beginnt somit der Korruptionsbereich.
Geld-/Sachspenden oder Bezuschussungen
Spenden sind nur bei wissenschaftlichem Forschungsnutzen oder Verbesserung der Gesundheits- oder Patientenversorgung oder zu Aus- und Weiterbildungszwecken oder aus Mildtätigkeit erlaubt, falls daneben hinreichende Unabhängigkeit vom Umsatzgeschäft und die Einzahlung von Geldspenden auf Einrichtungskonten inklusive ordnungsgemäßer Dokumentation gewährleistet sind. Unter diesen Voraussetzungen können beispielsweise Arzneimittelhersteller hohe Geldsummen mit und ohne überindividuelle, aber stets lautere Zweckbindung geben – also z. B. für gesamte Einrichtungen, spezielle Forschungsprojekte oder Abteilungsausstattungen, nicht jedoch als sogenannte Sozialspenden für Dienstjubiläen oder gezielt zur Verfügung einer Person.