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14. Juni 2024
Redaktion
Serie: Hilfsmittelversorgung in der Praxis – IV

Grundlagen des Behinderungsausgleichs

Im vorangegangenen Artikel (MTD 3/2024, S. 9) haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wann ein Hilfsmittel im Einzelfall als erforderlich zu bewerten ist. Nun geht es um das Versorgungsziel Behinderungsausgleich.

Bei der Versorgung mit einem Hilfsmittel geht es im Wesentlichen nach dem gesetzlichen Tatbestand des § 33 Abs. 1 SGB V um zwei Versorgungsziele, nämlich die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung und den Ausgleich einer Behinderung. In dieser und der nächsten Folge wird es um das Versorgungsziel Behinderungsausgleich gehen.

Unmittelbare und mittelbare Hilfsmittel

Bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich steht der Ausgleich einer ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst im Vordergrund. Derartige Hilfsmittel gleichen Funktionsbeeinträchtigungen aus, z. B. den Verlust von Gliedmaßen oder die Folgen einer Querschnittlähmung. Dazu zählen z. B. Arm- und Beinprothesen, Rollstühle und Hörhilfen.

Dabei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen Hilfsmitteln, die dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienen, und Hilfsmitteln, die dem mittelbaren Behinderungsausgleich dienen. Die Unterscheidung zwischen den beiden Bereichen des Behinderungsausgleichs ist aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen von Bedeutung, auch wenn der mittlerweile zu berücksichtigende Aspekt der Teilhabe zu einer Annäherung der beiden Bereiche führt.

Unmittelbarer Behinderungsausgleich

Hilfsmittel, die ausgefallene oder eingeschränkte Körperfunktionen unmittelbar ausgleichen oder unterstützen, indem fehlende oder beeinträchtigte Körperteile (Arme, Beine, Sprache, Hörfähigkeit) wiederhergestellt oder ersetzt werden, oder deren Einsatz ermöglicht, erleichtert oder ergänzt wird, dienen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Typische Beispiele hierfür sind Prothesen, verschiedene Orthesen und auch Kommunikationshilfen.

Ausgleich des Funktionsdefizits

Nach der Rechtsprechung des BSG gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die Frage, ob die Versorgung dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht, stellt sich überhaupt erst dann, wenn zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Solange keine gleichwertigen Alternativen bestehen, ist daher auch nicht die Frage der Wirtschaftlichkeit zu stellen, solange der Versicherte mit der beantragten Versorgung wesentliche Gebrauchsvorteile erlangt.

Andererseits besteht auch im Fall des unmittelbaren Behinderungsausgleichs nur ein Anspruch auf eine im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung. Es kommt daher immer darauf an, ob das konkrete beantragte Hilfsmittel für die jeweiligen Nutzer Gebrauchsvorteile bietet. Ein „nur“ besserer Komfort oder eine bessere Optik ist nicht ausreichend.

Mittelbarer Behinderungsausgleich

Der Ausgleich der Behinderung kann aber auch auf den Ausgleich von Folgen des fehlenden oder beeinträchtigen Körperteils gerichtet sein (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). Dabei ist es ohne Belang, ob das Hilfsmittel nur unter Einschaltung Dritter (z.B. eine Brems- und Schiebehilfe für einen Rollstuhl) oder von dem Versicherten selbst genutzt werden kann.

Ein Beispiel für den Fall des mittelbaren Behinderungsausgleichs ist etwa die Versorgung mit einem Rollstuhl. Der Unterschied zum unmittelbaren Behinderungsausgleich liegt darin, dass ein Rollstuhl nicht das Gehen selbst ermöglicht (wie eine Prothese), sondern die Folgen der Funktionsbeeinträchtigung ausgleichen kann, indem er eine Fortbewegung ermöglicht.

Allgemeines Grundbedürfnis muss betroffen sein

Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich soll daher nach der Rechtsprechung des BSG nur gewährt werden, wenn es die Auswirkungen einer Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis betrifft.

Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören demnach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Zusätzlich nimmt die Rechtsprechung bei Kindern und Jugendlichen die Grundbedürfnisse auf Integration in den Kreis Gleichaltriger und auf eine angemessene Schulbildung an.

Hilfsmittel, die den vorliegenden Grundbedürfnissen dienen, haben also die Zielsetzung, die mit einer Funktionsbeeinträchtigung verbundene Teilhabestörung auszugleichen, zu mildern, abzuwenden oder in sonstiger Weise günstig zu beeinflussen. Mit ihnen sollen die Selbstbestimmungen und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert und Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen vermieden bzw. ihnen entgegengewirkt werden.

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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