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26. Oktober 2021
Redaktion
Medizintechnik / Krankenhaus

Elektronische Versorgungsschrank-Systeme punkten

Univ.-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Centrum für Krankenhaus-Management, Uni Münster
Der Anteil der Materialkosten (medizinischer Sachbedarf) bewegt sich mit über 30 Prozent der Gesamtkosten des Krankenhausbetriebs in einer Größenordnung, die auf Rationalisierungspotenziale untersucht werden sollte. Dabei ist davon auszugehen, dass Einsparungen in Einkauf und Logistik nicht auf Kosten von Patientenorientierung, Behandlungssicherheit und medizinischer Qualität realisiert werden dürfen.

Einer der grundlegenden Fehler bei der strategischen Ausrichtung sowie der organisatorischen Gestaltung von Logistikprozessen im Krankenhaus besteht in der traditionellen Kunden-Lieferanten-Sicht, wonach ein Hersteller von Medizinprodukten dem „Kunden Krankenhaus“ die bestellten Waren zum vereinbarten Preis, in der zugesicherten Qualität, in der georderten Menge, zum abgesprochenen Termin in das Krankenhaus liefert.

Doch diese Art von Kunden-Lieferanten-Verständnis führt zu einer verbrauchsorientierten Logistiksteuerung in Verbindung mit einer „Bulkware“-, sprich Massengut-Strategie beim Hersteller, und einer Zentrallagerorganisation im Krankenhaus. Die Konsequenzen sind bekannt:

  • hohe Lagerbestände mit entsprechender Kapitalbindung,
  • Lagerbewirtschaftungskosten (Stauraum, Lagerpersonal, Verwaltung),
  • Handhabungsaufwand für die Vor- und Endkommissionierung,
  • innerbetrieblicher Transport,
  • Bestandsverwaltung und Dispositionsorganisation dezentraler Läger in OPs, Intensivstationen und Katheterlaboren durch Ärzte und Pflegekräfte in den patientennahen Einsatzbereichen.

Nachschub durch elektronische Versorgungsschrank-Systeme

Eine ökonomisch, ablauforganisatorisch und medizinisch interessante Organisationsform im Rahmen der Medizinprodukte-Logistik stellt das elektronische Versorgungsschrank-System (EVS) im Rahmen eines „wertorientierten Beschaffungsmanagements“ dar.

Für eine organisatorisch und budgetmäßig abgrenzbare Leistungseinheit (z. B. Katheterlabor) werden elektronisch gesteuerte Versorgungsschränke eingerichtet. Diese Versorgungszellen nehmen den innerhalb von 24 Stunden benötigten Medizinproduktevorrat auf.

Mit der Entnahme eines Medizinartikels durch die Pflege- bzw. Funktionskraft erfolgt automatisch die elektronische Überprüfung des Bestandes sowie ggf. die Auslösung des Bestell- und Wiederauffüllungsprozesses (Quick Replenishment).

Ebenfalls auf Basis einer automatischen Ende-zu-Ende-Transaktion werden Administrations- und Abrechnungsroutinen veranlasst. Das Versorgungsschrank-Konzept ermöglicht:

  • lagerminimale Logistiksteuerung bei Verzicht auf ein Zentrallager,
  • fallbezogene Kostenverrechnung,
  • Entlastung des Personals von Logistik-, Dispositions-, Bestandsüberwachungs- und Verwaltungsaufgaben.

Lagerbestand reduzieren

Das Versorgungsschrankkonzept ermöglicht auch eine regelmäßige Reflexion des Lagerungs- und Verbrauchsverhaltens am Verbrauchsort. Stationspersonal und Warengruppen-Manager (Category Manager) können gemeinsam das Produkt-Portfolio inklusive Lagerbestand optimieren und das Verbrauchsverhalten auf Qualität und Wirtschaftlichkeit ausrichten.

Eine Analyse des CKM Centrum für Krankenhaus-Management in einem Herzkatheterlabor ergab eine durchschnittliche Lagerbestandsreduktion um mindestens 25 Prozent (Abb. 1).

Grafik: CKM/vE
Abb. 1: Die Einsparpotenziale einer auf „Smart Cabinets“ gestützten Krankenhaus-Logistik kommen allen strategischen Logistikpartnern (Krankenhaus, logistischer Dienstleister, Medizinprodukte-Hersteller) zugute.

Bestand und Bedarf werden automatisch überprüft

Der traditionelle Wiederauffüllprozess bei Einsatz von Versorgungsassistenten lässt sich durch elektronische Schranksysteme erheblich vereinfachen, indem die komplette Phase der „Bedarfserkennung und Bestandsprüfung“ automatisiert wird und damit faktisch wegfällt.

Dadurch werden Kapitalbindungskosten reduziert, und bei Produkten mit Ablaufdaten wird Verfall vermieden. Darüber hinaus sinkt der Platzbedarf um 25 bis 50 Prozent der Stellfläche. Ein weiterer Vorteil elektronischer Schranksysteme besteht in der Möglichkeit zur Verhandlung von Service Level Agreements, also Vereinbarungen über einen einzuhaltenden Versorgungsgrad, durch den kritische „Out of-Stock“-Situationen (= Fehlmengen) vermieden werden.

Vorteile des EVS-Konzepts für strategische Systempartner

Logistikkonzepte auf Basis von EVS ermöglichen externen logistischen Dienstleistern (LDL) erhebliche Kostenreduktionsmöglichkeiten in Höhe von mindestens 15 Prozent (so das Ergebnis einer CKM-Analyse) durch Reduktion der Kapazität von Versorgungsassistenten.

Aber auch Hersteller und Lieferanten von Konsignationsware profitieren von den durchschnittlich deutlich geringeren Bestandsmengen. Qualitäts- und Wirtschaftlichkeits­effekte sind überall dort festzustellen, wo hochwertige, teure Medizinprodukte eingesetzt werden; so z. B. in Angiographie-Abteilungen, Intensiveinheiten, Notfallaufnahmen und Herzkatheterlaboren.

Der Versorgungsschrank wird idealerweise verantwortlich von einem logistischen Dienstleister betrieben. Entscheidend ist, dass alle logistischen Versorgungsformen des Krankenhauses aufeinander abgestimmt sind. Dies trifft insbesondere zu, wenn parallel zur Vollversorgung auch eingriffsbezogene Sets zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus sollte auch der Logistikkreislauf der wiederaufbereitbaren Medizinprodukte (Multi Patient Use Products) beachtet werden. In Abhängigkeit vom OP-Plan werden alle im OP für einen bestimmten Eingriff benötigten Einzelprodukte und Kitpacks/Sets eingriffsbezogen entnommen.

Das Schranksystem ermöglicht in idealer Weise die Anwendung des „Paid-on-Consumption“ als Abrechnungsform.

Logistiker als wichtiger Partner

Der logistische Dienstleister ist in diesem Konzept kein Outsourcing-Partner, der das krankenhauseigene Zentrallager übernimmt. Die Leistung eines LDL besteht aus mindestens vier Komponenten:

  • operative Logistiktätigkeiten (Transport, Lager),
  • Dienstleistungen, die den Gebrauchswert eines Produkts erhöhen, wie z. B. die verbrauchsgerechte Kommissionierung von Produktsystemen (z. B. montierte Katheter),
  • Organisationsleistungen zur Optimierung aller operativen und steuernden Tätigkeiten, die erforderlich sind, um benötigte Güter zeit-, verwendungs- und entsorgungsgerecht an den Verbrauchsort zu transportieren,
  • innovative Beratungsleistungen zur ständigen Verbesserung (KAIZEN) des Güterbeschaffungs- und Gütereinsatzprozesses (Vorschläge für Set-Stücklisten, Austausch von Komponenten gegen preiswertere und qualitätsgerechtere Einzelprodukte).

Unter diesem Blickwinkel wird der LDL zum unverzichtbaren Partner in Beschaffungskommissionen und Standardisierungskonferenzen. Voraussetzungen dafür sind Produktneutralität und Herstellerunabhängigkeit. EVS eignen sich vor allem für teure und lagerungskritische Artikel, für kostenintensive und anwendungskritische Medikamente sowie für Betäubungsmittel. Die Schranksysteme bieten durch den Einsatz von Kühlungsmodulen, auch die Möglichkeit, kühlungspflichtige Medikamente zu lagern.

Das Bestandsmanagement von Kühlschränken auf der Station ist über EVS ebenfalls möglich. Die Schranksysteme werden bereits seit Jahren in Krankenhäusern in den USA, Japan, den Niederlanden, Israel, Spanien, Italien und Großbritannien erfolgreich eingesetzt.

Sie vereinfachen nicht nur die Materialversorgung, sondern ihnen ist auch ein positiver Einfluss auf das klinische Risikomanagement zuzuschreiben (s. Abb. 2 und 3). Die Ausstattung mit EVS spielt in den USA bei der Akkreditierung durch die Organisation JCAHO eine wichtige Rolle.

Ergebnisse und Erkenntnisse

Logistik-Management ist ein ganzheitliches Gestaltungspaket; das zeigt sich an den Erfolgsvoraussetzungen von EVS-Systemen:

  • Standardisierung des Produkt-Portfolios in Verbindung mit einer Anpassung von medizinischen Verfahrenspraktiken und Organisationsabläufen,
  • Neustrukturierung des Krankenhaus-Logistik-Kanals mit Konzentration der Zusammenarbeit auf System-, Kosten- und Innovationsführer sowie Logistik-Dienstleistern (LDL) bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl von Direktlieferanten (= Reduktion von Komplexitätskosten),
  • Informationsvernetzung zur Vereinfachung und zeitnahen Steuerung aller produktbegleitenden Administrations-, Bestell-, Rechnungslegungs- und Versandabwicklungsprozesse,
  • Category Management und Reorganisation des Einkaufs (keine lieferanten­bezogene Zuständigkeit, sondern Produktsysteme in Verbindung mit problemlösenden Organisationsabläufen als Einkaufsobjekt).

Besondere Vorteile bzgl. Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit ergeben sich durch eine Versorgungslogistik auf Basis von EVS nicht nur für Krankenhäuser, sondern insbesondere auch für logistische Kooperationspartner.

  • Hersteller/Lieferanten von Medizinprodukten, die über Konsignationsverträge das Krankenhaus beliefern, profitieren von den niedrigeren Beständen. Insofern ist es für solche Hersteller durchaus eine strategische Option, sich an der Investition in elektronische Schranksysteme zu beteiligen und im Gegenzug eine höhere Bezugsmenge zu erhalten.
  • Logistische Dienstleister profitieren nicht nur von den niedrigeren Beständen, sondern insbesondere vom Wegfall personalintensiver Tätigkeiten, wie z. B. der regelmäßigen Bestandsüberprüfung. Darüber hinaus wird in diesem Logistikkonzept der LDL zum „Systempartner“, der zum integralen Organisationsbestandteil des gesamten Logistikprozesses wird. Aus LDL-Sicht und aus Sicht eines Medizinprodukte-Lieferanten ist die Beteiligung an einer solchen Logistikorganisation eine Marktentwicklungsoption im Sinne einer „strategischen Partnerschaft“, durch die die Markt- und Wettbewerbsposition aller Partner gestärkt wird.

Der Autor: Univ.-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Centrum für Krankenhaus-Management (Universität Münster), von.eiff@uni-muenster.de, Center for Health Care Management and Regulation (HHL Leipzig).

Foto: Hendrik Schmidt
Prof. Wilfried von Eiff.
Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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