Die digitale Durststrecke ist noch nicht überwunden
Plattformstrategien mit Blick auf Ausrichtung und Sinnhaftigkeit standen im Mittelpunkt des Vortrages von Dr. Oliver Gründel, Geschäftsführer der AGKAMED mit Sitz in Köln. Die Szene in Deutschland habe sich generell beruhigt und bereinigt.
Die Stunde der Plattformen
Aktuell gebe es nur noch zwei „ernst zu nehmende E-Procurement-Partner“ im Markt: die GHX Europe (Medical Columbus schloss einen Vertrag zur Veräußerung eines wesentlichen Teils ihres Vermögens mit GHX) sowie HBS Pagero (Pagero übernahm HBS Health Business Solutions GmbH). Laut Gründel hat sich dabei HBS Pagero mittlerweile zum dominanten Anbieter entwickelt, GHX spiele eine geringere Rolle, hier seien „nur noch wenige Kunden aufgeschaltet“.
Was Plattform-Qualität ausmacht
Die anderen machen es vor, wie es in puncto digitaler Plattformstrategien geht, so Dr. Gründel, mit Verweis auf Amazon, Zalando & Co. „Die wissen, wie digital gut und einfach funktioniert.“ Das Standard-Business sei hier dem Healthcare-Sektor um 15 Jahre voraus.
Unabdingbar sind aus seiner Sicht bei diesem Thema für das Gesundheitswesen valide Stammdaten (Artikel, Preise, Konditionen, Sondervereinbarungen), standardisierte Prozesse (Order-, Shipment-Info, Lieferschein, elektronische Rechnung), Prozessunterstützung und „Decision Support“. An letztem Punkt sei die AGKAMED gerade dran, um ihren Mitgliedshäusern mit Blick auf Entscheidungsunterstützung und den Einsatz KI-basierter Systeme zusätzlichen Support anbieten zu können. Gerade beim DRG(Diagnosis Related Groups)-bezogenen Einkauf sei die „Prozessintegrität ein entscheidender Faktor“.
Die anderen schlafen nicht
Auf dem Vormarsch sind laut Dr. Gründel derzeit integrative Plattformen, die den klassischen Modellen von GHX oder HBS Pagero überlegen seien. Speziell Amazon habe das Gesundheitswesen im Blick und sei perfekt in Sachen Logistik und Plattform-Management. Und er warnt: „Einkaufsgemeinschaften stehen heute schon auf dem Portfolio von Amazon. Das kann Einkaufsgruppen überflüssig machen.“ Hier erwachse etwas, „was man noch steuern sollte“, solange es noch geht.
Plattform-Strategie der AGKAMED
Die AGKAMED verfolgt aktuell den Ansatz, alle Daten, Prozesse und Akteure in einem System zusammenzubringen. Die sogenannte IP4-Plattform soll alle Mitgliedseinrichtungen (MaWi) und Vertragslieferanten (ERP-Systeme) auf dieser Plattform verbinden. Entwicklungspartner ist die MEDIIO GmbH. Ein entsprechendes Pilotprojekt läuft aktuell mit B. Braun Deutschland. Dr. Gründels Fazit: Die Krankenhaus-Einkaufsgemeinschaften müssen ihrer Rolle als Mittler zwischen Industrie und Klinikmarkt besser gerecht werden als bislang. Sie müssen das Thema „digitale Plattform-Strategie“ jetzt antreiben.
Digitale Welten – noch ein weiter Weg
„Die Gesundheitswirtschaft lebt weiterhin im digiTal der Tränen“. Das Motto des Vortrages von Olaf Berse, Vorstand Clinicpartner eG, ließ keine Zweifel aufkommen, in welche Richtung seine argumentative Reise zielen würde. Die Weichen in Richtung digitale Zusammenführung über eine Plattform stellten die Clinicpartner-Gesellschafter (65 Krankenhausträger) 2017, im August 2018 erfolgte das Go-live der eigenen Plattform „cpexchange“ mit sechs Häusern und fünf Lieferanten. Bis Ende 2021, so das Ziel, sollen 80 Prozent der Einrichtungen angeschlossen sein. 2020 waren 69 Krankenhäuser und 49 Lieferanten, die 75 Prozent des Verhandlungsumsatzes repräsentieren, an die Plattform angeschlossen. Clinicpartner zählt 199 Krankenhausbetriebsstätten als Mitglieder sowie 230 Pflege- und sonstige Einrichtungen. Den aktuellen strategischen Umsatz bezifferte Berse auf 1,4 Mrd. Euro. Der strategische Einkauf erstreckt sich über den gesamten Sachkostenbereich.
Wer hält sich an Standards?
So weit, so gut. Doch Stolpersteine auf dem Weg zur digitalen Zusammenführung von Krankenhaus und Industrie ortet Berse viele. So setze die Industrie die sich selbst über den BVMed im Jahre 2014 vorgegebenen Standards nicht oder nur teilweise um, beklagt er. Beispielhaft nannte er die immer noch häufige Verwendung gleich mehrerer GTINs abhängig von der Packungseinheit für ein und denselben Artikel.
Bei drei verschiedenen GTINs für ein und dasselbe Produkt sei aber eine digitale Verbuchung des Lieferscheins bzw. der Rechnung nicht möglich. Am Ende stehe die manuelle Vereinnahmung im Lager. Nötig sei, dass sich beide Seiten an Standards halten, diese leben und einfordern. Gleichzeitig müssten die Rahmenbedingungen für alle Seiten abgesteckt und umgesetzt werden. Wichtig sei auch eine regelmäßige und dauerhafte Kommunikation. „Und dann kann man auch vernünftig gemeinsam Digitalisierung betreiben.“
Qualität der Stammdaten
Worauf kommt es im Kern an? Berse betonte mit Nachdruck, dass es für die Umsetzung von digitalen Prozessen (need/ order to cash) zwingend notwendig ist, dass diese auf einer einheitlichen Grundlage basieren: Stammdaten. Für die erfolgreiche Umsetzung der Prozesse sind aus seiner Sicht folgende Regeln maßgeblich: 1) Stammdatenhoheit liegt bei der Industrie. 2) Sämtliche Prozesse müssen auf einer einheitlichen Datenbasis aufgebaut sein (Industriedaten). 3) Die Lieferantenstammdaten müssen bei den Hausstammdaten hinterlegt (Clearing-Prozess) und für alle weiteren Prozesse nutzbar gemacht werden. Gerade die Corona-Pandemie zeige, dass eine tiefe digitale Vernetzung auch in Krisenzeiten ihre Stärken hat.
Produktinformationen könnten eindeutig und schnell weitergegeben werden, da die Bestandsinformationen aus den einzelnen Häusern geteilt und die Bedarfe über eine tiefe Integration digital erfasst werden können. Grundsätzlich sieht er Krankenhäuser und Industrie auf dem richtigen Weg, was die digitale Zusammenarbeit angeht. Ironie der Geschichte aus Sicht von Berse: „Eine Pandemie wie Corona hat geschafft, was CEOs, CTOs und CIOs nicht geschafft haben. Homeoffice und Videokonferenzen sind nur ein Beispiel.“ Sein Credo: „Eine geschlossene Prozesskette ist die Lebensversicherung für die digitale Zusammenarbeit.“
Valide Stammdaten
In Sachen Stammdaten ist noch viel Luft nach oben. Das spiegelt sich im Klinikalltag an vielen Stellen wider, so Markus Wild, Geschäftsführer und CEO der Prospitalia. Es gebe immer noch viel händische Dokumentation. Scanner-Lösungen gebe es, aber ohne die entsprechend aufbereiteten Daten laufen sie ins Leere. Und Software-Lösungen für sich alleine bewirkten auch nichts. Sein Rat: „Hier muss man die Leute mitnehmen. Beratung und Consulting sind nötig.“ Als größten Stolperstein sieht er die generelle Schnittstellenproblematik zu MaWi und KIS.
HCDP – aus der Not eine Tugend machen
Vor diesem Hintergrund sei die HCDP-Idee entstanden, getragen von den vier Einkaufsgemeinschaften Prospitalia, P.E.G., Sana Einkauf & Logistik sowie EKKplus. Das Healthcare Content Data Portal (HCDP) soll allen angeschlossenen Einrichtungen und ihren Geschäftspartnern effizientere Prozesse in Einkauf und Logistik ermöglichen. Ziel des Projekts ist ein Datenpool, der einheitliche Klassifikationen wie z. B. eCl@ss und ATC nutzt und Standards der GS1, HIBC und wei