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22. April 2020
Redaktion
EU-MDR

Neue Aufgaben für Sanitätshäuser

Mit der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) und den Hilfsmittel-Verträgen nach dem Terminservice- und Versorgungs­gesetz (TSVG) standen zwei aktuelle Themenkomplexe auf der Tagesordnung eines Hilfsmittel-Seminars, das der MTD-Verlag im Rahmen der Winterseminare in Hannover, Köln und Stuttgart angeboten hatte. Referentin war Rechtsanwältin Bettina Hertkorn-Ketterer aus Bonn. Teil I der MTD-Berichterstattung befasst sich mit den neuen Anforderungen, die sich aus der MDR für die Leistungserbringer in der Hilfsmittelversorgung ergeben. Teil II in der Mai-Ausgabe informiert über das Vertragsgeschehen mit den Krankenkassen und gibt Praxistipps für die Umsetzung.

Sanitätsfachhändler und MDR

Die ab 26. Mai 2020 gültige Medical Device Regulation ( MDR) regelt den gesamten Lebenslauf eines Produkts. Erfasst sind als „Wirtschaftsakteure“ die Hersteller, Händler, Importeure und Bevollmächtigten. Die Anforderungen je nach Wirtschaftsakteur hat MedTech Europe, übersetzt vom BVMed, auf einer Grafik zusammengefasst, die unter dem Kurzlink https://bit.ly/3bkFe8c abrufbar ist.

Die Leistungserbringer im Hilfsmittel-Bereich sind als Händler und Hersteller von Sonderanfertigungen betroffen. Bettina Hertkorn-Ketterer stellte in diesem Zusammenhang klar, dass die Abgabe eines Rollstuhls im Wiedereinsatzverfahren keine Tätigkeit ist, die durch einen Händler i. S. v. Art. 2 Nr. 34 der MDR ausgeführt wird, da es an der „erstmaligen Bereitstellung“ fehlt.

Ein Wiedereinsatz danach, ebenso wie der erneute Einsatz von Fallpauschalen-Hilfsmitteln, ist auch nicht gemäß Art. 25 Abs. 2 MDR zu erfassen. „Achten Sie aber darauf, wozu die Krankenkassen Sie in Verträgen verpflich­ten wollen“, warnte Hertkorn-Ketterer.

Händler, die Medizinprodukte in Verkehr bringen, müssen prüfen und sicherstellen, dass diese Produkte hinsichtlich des CE-Kennzeichens und der Konformität MDR-regelkonform sind. Sie müssen Lagerungs- und Transportbedingungen beachten. Sie müssen den Markt beobachten und ein Beschwerderegister führen. Beschwerden sind dem Hersteller zu melden.

Ruft ein Hersteller ein Produkt zurück, muss der Händler ihn dabei unterstützen. Bei schwereren Vorkommnissen mit Gefahrverdacht sind zusätzlich die Behörden umfassend zu informieren. Um solche Aufgaben erfüllen zu können, muss die Produkt-Kennzeichnung, z. B. die Seriennummer oder die LOT-Nummer, später, nach Einführung, auch die UDI, erfasst sowie die Bezugsquelle und die Abgabestelle/-person festgehalten werden, soweit es sich hierbei um einen Wirtschaftsakteur, eine Gesund­heitseinrichtung oder einen Angehörigen eines Gesundheitsberufs handelt.

Medizinprodukte, die direkt an den End­verbraucher abgegeben werden, sind von der Erfassungspflicht ausgenommen. Wenn ein Händler die Verpackung ändert, löst dies besondere Handlungspflichten aus.

Geprüft werden muss vom Händler

neben der CE-Kennzeichnung und Konformität, ob die notwendigen Produkt-Infor­mationen beiliegen. Dabei muss bei Import-Produkten auch sichergestellt sein, dass der Importeur die MDR-Anforderungen erfüllt. Dass die Sinnhaftigkeit mancher Bestimmungen zu hinterfragen ist, ist bei den Lagerungs- und Transportbedingungen ersichtlich, wenn z. B. bestimmte Temperaturen für Rollstühle oder sterile Katheter (jeweils 10–25 Grad) vorgegeben werden.

Kritisch wird es, wenn Händler das Produkt verändern, ein Produkt entgegen der Zweckbestimmung verwenden oder ein Produkt unter eigenem Namen in Verkehr bringen. Diese Handlungen machen den Händler zum Hersteller mit allen Pflichten. Bei der Wahrnehmung seiner Pflichten wird der Händler mit weiteren Hürden konfrontiert. Wenn er z. B. Hersteller-Infor­mationen übersetzt oder die Verpackung ändert, muss er die Änderungen angeben und seine Kontaktdaten bereitstellen.

Der Händler muss über ein QM-Sys­tem verfügen und den Hersteller so­wie die Behörden über die Änderungen informieren. „Deshalb sollte man sich genau überlegen, ob man solche Tätigkeiten wirklich ausüben will“, meinte Hertkorn-Kette­rer.

Eine gesonderte Erklärung zur Vereinbarkeit mit den Herstellervorgaben muss ein Händler abgeben, wenn er Systeme und Behandlungseinheiten abgibt. Problematisch werde es, wenn das System Produkte ohne CE-Kennzeichnung enthält, die Kombination nicht mit der ursprünglichen Zweckbestimmung oder die Sterilisierung nicht mit den Hersteller-Vorgaben übereinstimmt.

In diesem Fall werde der Händler zum Hersteller mit den entsprechenden Pflichten, wie z. B. zum Konformitätsbewertungsverfahren.

Foto: ra2 studio/Shutterstock
Der für den 7. Mai in Berlin geplante 2. Medizintechnik-Kongress des MTD-Verlages zur Klärung offener Fragen im Zusammenhang mit der MDR musste leider aus aktuellem Anlass abgesagt werden. Sobald möglich, wird es einen Ersatztermin geben.

Sonderanfertigungen in Sanitätshäusern

Orthopädietechniker stellen eigenverantwortlich individuelle Hilfsmittel ge­mäß einer ärztlichen Verordnung her. Im Sinne der MDR sind dies Sonderanfertigungen. Zusätzlich zu den Handelsfunktionen kommen für Sonderanfertigungen weitere Pflichten auf die Sanitätshäuser zu.

Eine besondere Hürde bilden die notwendigen klinischen Bewertungen für Sonderanfertigungen. Vorgeschrieben ist ein definiertes Verfahren, das sich auf die kritische Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Fachliteratur und der ver­fügbaren klinischen Bewertungen stützt.

Einbezogen werden in die Bewertung auch alternative Behandlungsoptionen. Wie bei den Handelsfunktionen listete die Juristin auch hier diverse Knackpunkte auf. So stellt sich etwa die Frage der verwendeten Bestandteile. Hertkorn-Ketterer brachte Baumarktscharniere bei „gebastelten Individualversorgungen“ als Beispiel. Diese dürfen verwendet werden, man muss sich in diesen Fällen allerdings intensiv mit den Risiken beschäftigen und exakt dokumentieren bzw. Alternativen prüfen sowie das Produkt ggf. nachbeobachten.

Wie andere Medizinprodukte-Hersteller müssen auch Hersteller von handwerklichen Sonderanfertigungen eine für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person benennen. Kleine Unternehmen können dies an eine exter­ne Stelle delegieren.

Ein weiterer Knackpunkt liege in der Marktbeobachtung und der Rückmeldung der Erkenntnisse in das eigene Qualitätsmanagement. Hertkorn-Ketterer empfahl sowohl für die Funktion als Händler als auch für die des Herstellers von Sonderanfertigungen die Publikationen der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfs­mittelversorgung (DGIHV). Die DGIHV publiziert auf ihrer Internetseite die Anforderungen der MDR und Lösungen für die Praxis (www.dgihv.de).

MDR, MPG und MPBetreibV

Neben der MDR gibt es noch weitere gesetz­liche Regelungen für Medizinprodukte. Diese werden nicht alle durch die MDR abgelöst. Es gibt weiterhin nationale Gesetze und Verordnungen, die der MDR aller­dings nicht widersprechen dür­fen.

Das Medizinproduktegesetz wird durch das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz überarbeitet. Aller Voraussicht nach werden durch das derzeit im Gesetzgebungsverfahren befindliche Regel­werk u. a. Strafregelungen und Bußgelder geregelt. Auch der Medizinprodukte­berater als deutsche Besonderheit wird wohl erhalten bleiben. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Maßnahmen für besser funktionierende Meldungen der Anwender bei Vorkommnissen geregelt werden. Bestand haben wird die Medizinprodukte-Betreiberverordnung, die nicht die Sicherheit, sondern Fragen des Betreibens und Anwendens regelt.

Laut Betreiberverordnung sind die Krankenkassen zwar keine Betreiber, sie sind aber für die Einhaltung der Regeln verantwortlich. Die zu erfüllenden Aufgaben können sie auf die Leistungserbringer übertragen. Letztlich bleibt die Krankenkasse aber in der Verantwortung, egal, ob es sich um eine Neuversorgung, einen Wiedereinsatz oder um eine Fallpauschalen-Versorgung handelt.

Wichtigste Handlungsfelder der Betrei­berpflichten sind die Einweisung, die Über­prüfung der Funktionsfähigkeit, die Be­achtung der Gebrauchsanweisung, sicher­heitsbezogene Informationen und Instandhaltungshinweise sowie Instandhaltung, Inspektionen und Wartungen unter Berücksichtigung der Herstellerangaben.

Für aktive, nicht implantierbare Medizinprodukte ist ein Bestandsverzeichnis vorzuhalten. Für Medizinprodukte, die in Anlage 1 der Betreiberverordnung aufgeführt sind, sind ein Medizinprodukte-Buch und sicherheitstechnische Kontrollen relevant. In dieser Anlage 1 sind als rele­vante Sanitätshaus-Produkte TENS und EMS-Geräte, Hilfsmittel bzw. Applikationshilfen für parenterale Ernährung und Schmerztherapie, Geräte zur Beatmungstherapie/CPAP enthalten.

Für mess­technische Produkte der Anlage 2, worunter Fieberthermometer und Blut­druck­messgeräte fallen, müssen ebenfalls Medi­zinprodukte-Bücher vorgehalten und mess­­technische Kontrollen vorgenommen werden.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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