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26. Februar 2020
Redaktion

MDR-Fristverlängerung ist endgültig durch

Am 16. Dezember 2019 legte der EU-Rat dem EU-Parlament ein Corrigendum zur EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) vor. Am 17. Dezember gab es automatisiert grünes Licht vom EU-Parlament, da es innerhalb einer Frist von 24 Stunden keine weitere Abstimmung über das Corrigendum forderte.
Foto: Deniz Anttila/Pixabay
Foto: Deniz Anttila/Pixabay

Eine Abstim­mung hätte stattfinden müssen, wenn eine Parlamentsfraktion oder 38 Abgeordnete dies gefordert hätten. Wesentlicher Inhalt der MDR-Änderung: Klasse-I-Produkte, die in die Klassen Ir (wiederverwendbare chirurgische Instrumente), Is (Sterilprodukte), Im (messtechnische Produkte) und medizinische Software höher gestuft worden sind, hätten ursprünglich bis zum endgültigen Start der MDR am 26. Mai 2020 einer neuen Zulassung/Zertifizierung unter Einschaltung einer Benannten Stelle bedurft. Diese Produkte erhielten nun eine Fristverlängerung von vier Jahren bis 26. Mai 2024. In der Sache richtig, in der Umsetzung aber falsch, hielt das Centrum für Euro­päische Politik der Stiftung Ordnungspolitik (Cep) den eingeschlagenen Weg. Die „Berichtigung“ der Medizinprodukte-Verordnung durch den EU-Rat sei verfahrensrechtlich fragwürdig, da die Verordnung inhaltlich geändert wurde. Eine Aufhebung durch den Europäischen Gerichtshof hätte noch negativere Folgen. Geboten sei vielmehr eine Änderungsverordnung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gewesen.

Stimmen zum Corrigendum

Zur Fristverlängerung gab es Stellung­nahmen von Verbänden und aus der Poli­tik. MTDialog bringt die wichtigsten Aussagen der Verbände Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Spectaris, BVMed, ZVEI, MedicalMountains so­wie der EU-Abgeordneten Dr. Peter Liese und Dr. Andreas Schwab (beide EVP) und von Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut. Wegen der geringen Anzahl von Benannten Stellen wurde die Fristverlängerung von allen begrüßt. Immerhin gab es zum Jahresende europaweit erst acht akkreditierte Benannte Stellen. Der DIHK meinte, dass sich die Politik um den Erhalt der Wettbewerbs- und Innovationskraft der Branche kümmern müsse. Auf nationaler Ebene forderte der Verband eine mittelstandsfreundliche Umsetzung des nationalen Medizinprodukteanpassungsgesetzes-EU. Notwendig sei jetzt auch, dass es Fristen gebe, inner­halb derer ein Zertifizierungsverfahren abgeschlossen werden müsste. Weiter fordert der DIHK Sonderregelungen für lebensnotwendige Nischenprodukte, etwa für Kinder. Verwiesen wurde auch auf die gemeinsame Umfrage mit Spectaris unter 300 Unternehmen mit dem Ergebnis, dass 80 Prozent wegen der MDR mit Schwierigkeiten rechnen, noch innovative Produkte auf den Markt bringen zu können. Der BVMed wies neben dem Defizit an Benannten Stellen auch auf fehlendes qualifiziertes Personal und auf fehlende Rechtsakte hin. Weiter befürchtet der Verband eine wachsende Zahl von An­trägen auf nationale Sonderzulassung, z. B. für Medizinprodukte für seltene Erkrankungen. Nötig sei deshalb eine Neustrukturierung des bestehenden Verfahrens für Sonderzulassungen. Grundsätzlich sei es auch schwierig, für die Zertifizierung von Bestandsprodukten klinische Daten zu erhalten, weil die Bereitschaft der Kliniken zur Durchführung klinischer Studien für solche Produkte gering sei. Wie der DIHK verwies auch der BVMed auf die grundsätzlichen Probleme der Unternehmen mit der MDR. Experten würden da­von ausgehen, dass 10 Prozent der euro­päischen Branchen-Betriebe in ihrer Exis­tenz bedroht seien und rund 30 Prozent der Produkte vom Markt genommen werden müssten bzw. nicht rechtzeitig zertifiziert seien. Spectaris erinnerte daran, dass mit der Fristverlängerung andere Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht entfallen. Der Verband geht von einer weiteren Zuspitzung hinsichtlich des Engpasses an Benannten Stellen aus und bezweifelt, dass das Gesamtsystem mit Geltungsbeginn (26.5.20) tragfähig sein wird. Als Grund wird u. a. auch eine fehlende euro­päische Lösung bezüglich der Auswirkungen der Verschiebung der Datenbank Eudamed ins Jahr 2022 und das Fehlen diverser Leitlinien genannt. Für die Medizintechnik-Unternehmen im Elektro-Verband ZVEI sind die Regelungen zu Klasse-I-Produkten nicht relevant. Dennoch begrüßte der ZVEI das Corrigendum, da damit auch klargestellt sei, dass alle heute im Markt befindlichen Medizinprodukte auch nach dem 26. Mai 2020 weiter in Verkehr gebracht werden können. Endgültige Planungssicherheit gebe es deshalb auch für Produkte der Klassen IIa, IIb und III, sofern sie bereits nach der EU-Richtlinie über Medizinprodukte (MDD) auf dem Markt sind und ohne wesentliche Veränderungen bleiben. Diese Regelung sei schon Bestandteil der MDR gewesen. Engpässe mit Medizinprodukten sind nach ZVEI-Einschätzungen nun nicht mehr zu befürchten. Der ZVEI weist aber darauf hin, dass es jedoch schwer ist, neue Produkte auf den Markt zu bringen, da die Benannten Stellen wegen der Umstellung auf die MDR seit Monaten keine Unterlagen mehr für die Bewertung neuer Produkte der Klassen IIa, IIb und III nach MDR-Recht annehmen würden. Gleichzeitig gebe es aber den Flaschen­hals durch die wenigen nach MDR akkreditierten Benannten Stellen. Die Unterneh­men könnten erst dann neue Produkte auf den Markt bringen, wenn sie Zugang zu einer Benannten Stelle nach MDR hätten.

Das Tuttlinger Cluster Medical

Mountains meinte, dass die Entscheidung spät, aber gerade noch rechtzeitig erfolgt sei. Auch die Kliniken atmeten auf wegen der drohenden Produkt-Engpässe. Nun gebe es Planungssicherheit für Produkte der Klasse Ir. MedicalMountains warnte aller­dings auch davor, dass ein Zertifikat auch schon vor Mai 2024 ablaufen kann. Und für die Bearbeitungszeit von Akten seitens der Benannten Stellen seien mindestens neun bis zwölf Monate einzuplanen. 2023 wäre also auf jeden Fall zu spät. Dr. Peter Liese, EU-Abgeordneter der EVP-Fraktion, rechtfertigte die Fristverlängerung für diese Produktgruppen da­mit, dass sie ein sehr geringes Risiko bergen und die Benannten Stellen sich nun auf Hochrisikoprodukte konzentrieren könnten. Für den südbadischen Europaabgeordneten Dr. Andreas Schwab kann die Fristverlängerung für Klasse-I-Produkte dagegen nur ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Schwab erinnerte daran, dass die ursprünglichen Fristen für Hochrisikoprodukte weiterhin bestehen. Wegen der wenigen Benannten Stellen und weiterer Umsetzungsprobleme sollten auch für Hochrisikoprodukte die Fris­ten um mindestens ein Jahr verlängert werden, um einen reibungslosen Ablauf bei der Zertifizierung sicherstellen zu können. Baden-Württembergs Wirtschaftsminis­terin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut freute sich, dass sich der Einsatz ihres Ministeriums bei der EU gelohnt habe. Die Ände­rungen trügen maßgeblich zur Sicherung der Existenz vieler kleiner und mittlerer Medizintechnik-Unternehmen in Baden-Württemberg bei. Die ursprünglich geplante Verordnung sei in bestimmten Punkten klar zulasten der internationalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit baden-württembergischer Unternehmen gegangen. Insbesondere die bislang vorge­sehenen Übergangsfristen seien schlichtweg nicht praxistauglich gewesen. Mit der ur­sprünglichen MDR-Fassung hätten teils erhebliche Reduktionen des Produktport­folios, verstärkte Unternehmensverkäufe und Fusionen bis hin zur Einstellung der Geschäftstätigkeit gedroht. Eine Konsolidierung habe bereits begonnen. Aktuell seien in Baden-Württemberg mindestens 20 Prozent der Arbeitsplätze in der Medizintechnik gefährdet. In diesem Zusammenhang erinnerte die Ministerin an das Soforthilfe-Programm des Landes von über 2 Mio. Euro. MTD-Kongress zur MDR klärt viele Fragen. Die MDR steht im Mittelpunkt des 2. Medizintechnik-Kongresses des MTD-Verlages am 7. Mai 2020 in Berlin. Inhaltlich steht der Praxisbezug im Vordergrund. Es geht um konkrete Hilfestellungen und Erfahrungsberichte zur Umsetzung der MDR vor allem für Produkte der niedrigeren Risikoklassen I und IIa. Angesprochen sind kleinere und mittlere Medizinprodukte-Hersteller, Sanitätshäuser als Hersteller von individuellen OT- und Reha-Produkten sowie Groß- und Fachhändler. Thematisch sollen beleuchtet werden:

  • das Medizinprodukte-Anpassungsgesetz (MPAnpG-EU)
  • Vorarbeiten der Hersteller im Rahmen der Zertifizierung durch eine Benannte Stelle
  • ein Sachstandsbericht zu aktuellen Fragestellungen und Problemen
  • MDR-Anforderungen an Hilfsmittel-Leistungserbringer (u. a. im Rahmen des Sonderbaus)
  • Unternehmensberichte zu erfolgreichen Umsetzungen (Best Practice)
  • Anforderungen der MDR an Eigenlabels
  • der Umgang mit Ir-Produkten

Anmeldung unter: www.mtd.de/medizintechnikkongress. Weitere Infos per E-Mail (cuni@maurer-fachmedien.de) oder unter Tel. 0 73 31/3 07 08-31.
Liberale Forderungen zur MDR an die RegierungDie FDP-Bundestagsfraktion begrüßt in einem Antrag an die Bundesregierung vom Dezember 2019 (Drucksache 19/16035) die Zielsetzungen der EU-Medi­zinpro­dukte-Verordnung (MDR). Festgestellt wird allerdings, dass es bei der Umsetzung erheblichen Nachholbedarf und Defizite gibt. Es gebe zu wenige Benannte Stellen. Wegen der rund 500.000 Medizinprodukte, die neu zertifiziert werden müssen, bestünden große Kapazitätsengpässe. Dadurch sei die Versorgung gefährdet. Weiter fehle es an Umsetzungsvorschriften. Kritisiert wird auch die Verschiebung der Datenbank Eudamed.Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung zum Einsatz für folgende Maßnahmen auf:

Hinwirkung auf europäischer Ebene, dass es ausreichend Benannte Stellen mit ausreichenden Personalkapazitäten gibt, um den bisherigen Zertifizierungsstau abzubauen. Weiter soll sie sich für die Funktionsfähigkeit von Eudamed, harmonisierte Normen und das Vorliegen der notwendigen Implementierungsrechts­akte einsetzen. Hierzu gehören 11 delegierte Rechtsakte und 32 Durchführungsrechtsakte, von denen erst drei verabschiedet wurden.
In Kooperation mit den Ländern sollten auf Bundesebene Maßnahmen entwi­ckelt werden, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Mittelstandsfreundliche Umsetzung der MDR mit klaren, planbaren Umsetzungsvorschriften. Bewährte Bestandsprodukte sollten unter erleichterten Bedingungen zugelassen werden können. Vor allem KMU seien in Europa zu 10 Prozent in ihrer Existenz gefährdet und 30 Prozent der Produkte müssten wegen fehlender oder nicht rechtzeitiger Zertifizierung vom Markt genommen werden.
Sonderregelungen für Medizinprodukte für seltene Erkrankungen (Orphan De­vices), wie z. B. Herzschrittmacher für Kinder oder seltene Tumorversorgungen.
Innovationsfreundliches Prüfungsverfahren (Fast Track) bei der Neuzulassung von innovativen Medizinprodukten. Innovationen von KMU hätten kaum eine Chance, eine Benannte Stelle zu finden, weshalb besondere Kapazitäten für Innovationen erforderlich seien.
Informationskampagne für deutsche KMU zu den Anforderungen der MDR, z. B. durch einen konsolidierten Anforderungskatalog.
Start eines neuen Strategieprozesses Medizintechnik, wie er auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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