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15. Mai 2024
Redaktion
Leistungs- & Beurteilungssysteme im Sanitätshaus

Kennen Sie eigentlich Ihre einzelnen Team-Mitglieder?

Von Axel Ehrhardt

Im Berufsalltag mangelt es häufig an offener Kommunikation. Stattdessen stehen oftmals Missverständnisse im operativen Tagesgeschäft, ungerechte Behandlungsweisen, Aneinandervorbeireden und hierarchische Machtdemonstrationen auf der Tagesordnung. Wie können Führungskräfte ­solchen Situationen und Eindrücken begegnen?
Menschen
Foto: Freepik

Situative O-Töne aus dem Alltag eines Sanitätshauses: „Chef, was sagen Sie eigentlich zu meiner Arbeit hier in der Werkstatt?“ – „Was halten Sie eigentlich von mir!“ – „Ich würde gerne mit Ihnen über eine Gehaltserhöhung reden!“ – „Sie haben im letzten Jahr nicht ein einziges Mal über meine Arbeit ein Lob ausgesprochen!“ – „Hätten Sie mir das gleich so gesagt, hätte ich es auch so gemacht!“ – „Warum bevorzugen Sie eigentlich immer den Kollegen XY!“ – „Ich fühle mich langsam hier in ihrem Betrieb nur noch als Personalnummer!“ – „Darf ich Sie mal kurz unter vier Augen sprechen, mir reicht das hier langsam!“

Führungskraft: „Lernen Sie erst einmal Ihre Arbeit vernünftig zu Ende zu bringen, dann…!“ – „Das war mal wieder typisch für Sie!“ Was lässt sich aus diesen Eindrücken primär ableiten? Eine allgemein fehlende offene Kommunikation, eine nachhaltige Authentizitäts-, Fehler- und Vertrauenskultur, Missverständnisse im operativen Tagesgeschäft, ungerechte Behandlungsweisen, geringe persönliche Wertschätzung und Akzeptanz, Neid, Aneinandervorbeireden und hierarchische Machtdemonstration. Wie kann man solchen Situationen und Eindrücken nun begegnen?

Wie diese Beispiele verdeutlichen, wissen manche Führungskräfte immer noch viel zu wenig über ihre einzelnen Team-Mitglieder. Sie wissen nur fragmentiert, was diese eigentlich können und leisten, welche grundsätzlichen Kompetenzen oder sonstigen Potenziale sie verinnerlichen. Doch genau das zu analysieren, zu ermitteln und zu bewerten, ist einer der wichtigsten Grundlagen für die Implementierung und Durchführung eines zeitgemäßen Beurteilungssystems. Man gewinnt dadurch u. a. ein strukturiertes, abgerundetes Bild über den Status quo als Basis für die Zukunftsfähigkeit der Belegschaft und des Unternehmens.

Definition und Zielsetzungen eines Beurteilungssystems

Ein Beurteilungssystem ist ein in sich geschlossenes strukturiertes und standardisiertes Verfahren, welches in regelmäßigen Abständen realisiert und dokumentiert wird. Das Beurteilungssystem ist ein existenzieller Baustein im Rahmen einer innovativen, offenen und wertschätzenden Feedback-Kultur bzw. des Human-Ressource-Managements 2.0.

Die Zielsetzung eines Beurteilungssystems ist es, sich schwerpunktmäßig untereinander eine authentische, sachliche, faire und seriöse Rückkoppelung über die individuellen sozialen Kompetenzen, die operative Zusammenarbeit, erbrachte Leistungen, durchgeführte Arbeitsergebnisse und die beruflichen Entwicklungspotenziale im Rahmen einer definierten Zeitperiode zu kommunizieren.

Daraus sollten dann die nächsten gemeinsam fixierten Zielsetzungen und Maßnahmen abgeleitet und dokumentiert werden, um eine zukünftige Optimierung hinsichtlich der persönlichen Verhaltensweisen, der fachlichen Weiterentwicklung und der Karriereplanung des Mitarbeitenden zu erreichen.

Das Management trägt somit die soziale und unternehmerische Verantwortung dafür, die richtigen Team-Mitglieder zu rekrutieren, die entsprechenden Potenziale zu erkennen bzw. zu nutzen, weiter zu fördern, aber auch Beschäftigte aus dem Kontext zu nehmen, wenn das Weiterkommen limitiert ist oder es einfach nicht mehr in der Zusammenarbeit passt. Hier ist Autorität für klare Ansagen gefragt.

Beurteilungssysteme im Rahmen von Employer Branding

Ein innovatives Personalmanagement zählt u. a. zu den zukünftigen Erfolgskriterien eines Unternehmens und ist ein wichtiges Mittel des Managements. Durch eine offene Kommunikations-, Vertrauens- und Wertschätzungskultur im Rahmen von Beurteilungssystemen, wird die externe und interne Position des Unternehmens hinsichtlich der Personalselektion, Entwicklung und des Talentmanagements im Rahmen von Employer Branding (dt. Arbeitgebermarkenbildung) verstärkt. Unternehmen müssen heute verstärkt Anstrengungen unternehmen, um ihre Leistungsträger zu binden und zu halten. Ein Beurteilungssystem ist u. a. eines der wichtigsten Tools dafür.

Was bringen Beurteilungssysteme für das Unternehmen?

Die Team-Mitglieder

Die generelle Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit wird durch die regelmäßigen Beurteilungsgespräche verbessert und gesteigert. Die Team-Mitglieder lernen grundsätzlich, sich und ihre eigenen Leistungen im Unternehmen selbstkritisch und filigraner einzuschätzen.

Team-Mitglieder und Vorgesetzte (Top-Down und Down-Top-Strategie) erhalten jeweils ein authentisches und sachliches Feedback zu ihrer persönlichen Performance, der allgemeinen Zusammenarbeit, ihrer aktuellen Job-Beschreibung, den zu erwartenden fachlichen und persönlichen Leistungen des Zielerreichungsgrads bzw. der Zielsetzungen und der beruflichen Perspektive (360-Grad-Beurteilung). Die Stärken-Schwächen-Potenziale des Team-Mitglieds werden dadurch offen verifiziert und konkret diskutiert. Dazu können anschließend Verbesserungsvorschläge und Optimierungsprozesse erarbeitet werden.

Durch die persönliche Anerkennung und sachliche Kritik verbessert sich der partnerschaftliche Umgang. Eventuell intra- oder interpersonelle Konflikte werden dabei offen oder diskret angesprochen bzw. ausdiskutiert. Arbeitsfördernde und eventuell arbeitshindernde Umstände werden aufgedeckt und Pro­blemansätze bzw. konkrete Lösungsmöglichkeiten können erarbeitet werden.

Dabei bekommen die Team-Mitglieder auf Dauer auch über die Unternehmens- und Abteilungsziele einen vertiefteren Einblick und lernen die Perspektiven im Unternehmen besser kennen. Sie öffnen sich verstärkt durch Wertschätzung und einer transparenten Vertrauenskultur und zeigen dadurch deutlich ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein bzw. Unternehmensidentifikation.

Das Führungspersonal

Vorgesetzte lernen ihre eigenen Führungsqualitäten und -Skills in der Gesprächsführung im Laufe der Zeit noch besser einzuschätzen und/oder erkennen Defizite im Führungs-Argumentations- und Verhandlungsverhalten. Das Führungspersonal muss sich intensiv mit dem persönlichen Verhalten und dem Leistungsportfolio der Team-Mitglieder auseinandersetzen, diese strukturiert evaluieren, sich dabei präventive Korrekturmaßnahmen zur Verbesserung der Leistungssteigerung und Verhaltensänderungen überlegen, die mit gleichzeitigen Aus- und Weiterbildungsaktivitäten korrelieren.

In diesem Zusammenhang sollten durch das Beurteilungssystem auch eventuell auftretende organisatorische Schwachstellen analysiert und korrigiert werden. Das heißt grundsätzlich: wahrnehmen, ernstnehmen und das direkt, regelmäßig und persönlich. Wer das umsetzt und dabei noch wirklich gut zuhören kann, was die einzelnen Team-Mitglieder bewegt, nervt, motiviert, ausbremst oder was sie vermissen, der erfährt ein rundes Einschätzungsbild über seine Beschäftigten.

Das Unternehmen

Für das Unternehmen bedeutet die Einführung eines Beurteilungssystems u. a. konkrete Informationen und Auswertungen über seinen „internen“ Arbeitsmarkt. Weiterhin steht im Fokus eine umfassende Betrachtungsweise über den individuellen Eignungs- und Leistungsgrad der Gesamtbelegschaft und die daraus resultierenden zu optimierenden aktuellen bzw. zukünftigen Personaleinsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten. Außerdem lassen sich daraus eventuelle Schlussfolgerungen bezüglich des „richtigen Team-Mitglieds am richtigen Arbeitsplatz“ verifizieren.
Darüber hinaus dient ein Beurteilungssystem als Entscheidungsgrundlage für eine Weiterentwicklung einer leistungsgerechten Lohn- und Gehaltsfindung, eines angepassten Vergütungssystems oder der Einführung von freiwilligen Zusatzleistungen („Fringe Benefits“).

Weitere wichtige Parameter zur zukünftigen Unternehmensentwicklung sind Informationen über den generellen Bildungsbedarf und Fortbildungsmaßnahmen inklusive Controlling, eine weitere Optimierung des ganzheitlichen Betriebsklimas, z. B. durch eine Verbesserung der Vertrauens- und Offenheitskultur oder die Entwicklung und Optimierung der Führungsqualitäten.

Die Beurteilungs- und Bewertungskriterien

In eine entsprechende standardisierte Bewertungsmatrix sollten mindestens folgende Parameter in die jeweilige Betrachtungsweise aufgenommen werden (diese Auswahl basiert nicht auf Vollständigkeit):

Beurteilung Team-Mitglied

  • Soziale Kompetenzen (z. B. Belastbarkeit, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Eigeninitiative, Resilienz etc.) Produkt- und Fachkompetenzen (z. B. Produkt- und Fachwissen,
  • Können, Technologieoffenheit etc.)
  • Arbeitsstil (z. B. Selbstständigkeit, Sorgfaltspflicht, Kreativität etc.)
  • Arbeitsergebnisse (z. B. Quantität, Qualität, Tempo etc.)

Beurteilung Führungskraft

  • Soziale Führungskompetenzen (z. B. wertebasiertes Denken, Coaching-, Methoden-, Motivations- und Digitalkompetenz, agiles Führen etc.)
  • Zeit- und Organisationsmanagement (z. B. Planung, Controlling, Projekt- und Zielvereinbarungsmanagement etc.)

Die einzelnen Bewertungspunkte sind im Rahmen eines Bewertungs-Manuals für alle transparent, schriftlich detailliert auszuformulieren und sollten nachvollziehbar und nachhaltig sein.

Eine überfrachtete quantitative Bewertungsmatrix aufzustellen, ergibt nicht unbedingt Sinn. Die Führungskraft und das Team-Mitglied sind dann eventuell überfordert und eine sachliche Objektivität der Überprüfbarkeit über die einzelnen Bewertungspunkte kann sich verwässern oder führt zu Spannungen und endlosen Diskussionen.

Nach der Auswahl der einzelnen Kriterien ist festzulegen, welche Wertigkeiten die einzelnen Bewertungskriterien für eine Einzel- bzw. Gesamtbewertung haben. Hier gibt es z. B. die Möglichkeiten einer jeweiligen Gewichtung (man ordnet jedem Beurteilungskriterium einen Multiplikator-Faktor zu) oder die Möglichkeit einer entsprechenden Skalierung (z. B. von „sehr gut“ bis „mangelhaft“). Dabei müssen die einzelnen Gewichtungen oder Skalenstufen inhaltlich genau ausformuliert werden, um diverse Interpretationen oder Missverständnisse zu vermeiden.

Eine weitere Möglichkeit ist ein zielorientiertes Beurteilungssystem. Im Fokus dieses Verfahrens steht die Mitarbeiterbeurteilung anhand von vereinbarten/vorgegebenen individuellen Leistungs- und/oder Verhaltenszielen. Zur praktischen Umsetzung werden die vereinbarten Zielmaßnahmen dann in einer individuellen Planungsmatrix gespiegelt.

Der Beobachtungszeitraum

Die Beobachtung hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Kriterien ist eine permanente Aufgabe der Vorgesetzten. Sie sollte kontinuierlich und in regelmäßigen Perioden während des Beurteilungszeitraumes realisiert werden. Ein entsprechender Bewertungsbogen hilft dabei, die einzelnen situativen Ergebnisse zu dokumentieren und diese für das finale Beurteilungsgespräch mit einzusetzen (z. B. Verhalten oder aktive Teilnahme des Beschäftigten in Meetings etc.).

Gegenstand der Beobachtung sind die einzelnen operativen Arbeitsleistungen und das persönliche Arbeitsverhalten der Team-Mitglieder bzw. der Führungskraft, unter der Berücksichtigung der vorgegebenen Beurteilungskriterien. Eine abschließende Einzelbeobachtung ist erst dann als zuverlässig und aussagekräftig zu verifizieren, wenn das Ergebnis auf einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen beruht und Beurteilungsfehler dabei weitgehend auszuschließen sind.

Dabei ist es wichtig, gleichzeitig sowohl negative als auch positive Beobachtungen in die Betrachtungsweise mit einfließen zu lassen, dabei grundsätzlich objektiv zu bleiben, bei der Beobachtung nicht gleich eine emotionale Bewertung vorzunehmen und nicht erst zum Ende des vereinbarten Beobachtungszeitraums mit den Beobachtungen zu beginnen.

Die Rahmenbedingungen

Im Vorfeld der generellen Implementierung des Beurteilungssystems sollte durch das Management eine Kick-off-Einführung über die Rahmenbedingungen erfolgen. Dabei sind u. a. Sinn und Zweck, Zielsetzungen, inhaltliche Bewertungskriterien und deren Definitionen, Gewichtungen, Umsetzung des Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgesprächs bzw. Terminvereinbarungen in den Fokus zu nehmen.

Beurteilungsgespräche sollten nach Möglichkeit mindestens zwei Mal im Jahr stattfinden, um die einzelnen Maßnahmen und Ziele zeitnaher zu kommunizieren. Dies macht auch deswegen Sinn, weil sich dadurch plötzlich auftretende veränderte Rahmenbedingungen während des definierten Beurteilungszeitraumes nachträglich anpassen lassen, um somit eine weitere objektive, sachliche Beurteilung der Ziele und Maßnahmen weiterhin zu gewährleisten.

Wann scheitern Beurteilungssysteme?

Beurteilungssysteme können relativ schnell scheitern. Zur Implementierung und Umsetzung werden hohe persönliche Anforderungen an das oberste Management und deren verantwortliche Führungskräfte gestellt. Ein Beurteilungssystem muss nicht nur implementiert, sondern auch gelebt werden.

Dabei ist die eigentliche Achilles-Ferse der Gesprächsaufbau bzw. die -führung. Hier ist eine besonders hohe Empathie, Sensibilität, intelligentes Einfühlungsvermögen und kontrollierte Emotionalität gefragt. Dies sollte unbedingt im Vorfeld trainiert und gecoacht werden, da es leider relativ schnell zu unkontrollierten und aggressiven Konfliktsituationen kommen kann.

Deshalb helfen meistens eine fachliche externe Moderation und ein gezieltes Coaching, um den Erfolg eines zielorientierten und effektiven nachhaltigen Beurteilungssystems von Anfang an zu gewährleiste.

Der Ausblick

Beurteilungsgespräche stellen die Belegschaft in den Mittelpunkt des Unternehmens. Sie spiegeln der Belegschaft ihre tägliche Arbeit, motivieren und steigern deren Leistungsfähigkeiten und geben der Arbeit Sinn (engl. „Purpose“). Mitarbeiter wollen heute nicht nur verstehen, was sie tun. Sie wollen auch den Sinn im eigenen Tun und Handeln wiedererkennen. Dies ist aber nur möglich, wenn die Bewältigung von schwierigen Aufgaben und das Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit gefördert werden und somit Erfolgserlebnisse und Wertschätzung zur Steigerung des Selbstwertgefühles beitragen.

Ein Beurteilungssystem kann genau das ermöglichen und ist deshalb ein unerlässliches Instrument und Bestandteil eines zeitgemäßen Personalmanagements 2.0. Es ist eines der wichtigsten Kommunikations- und Verständigungs- Tools zwischen der Führungskraft und seinem Team-Mitglied.

Eine dauerhafte, nachhaltige, offene und wertschätzende Kooperation ist nur dann möglich, wenn die gemeinsam anstehenden Aufgaben, Leistungen und Vereinbarungen oder sich anbahnende Konfliktpotenziale in vertrauensvollen Gesprächen auf Augenhöhe angesprochen, gelöst und vereinbart werden. Also: Beurteilen Sie schon oder warten Sie noch?

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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