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10. Juni 2024
Redaktion
Employer Branding

„Herz, Hand und Haltung“ – darauf kommt es an

Wie definiert sich ein Unternehmen heute erfolgreich – vor allem mit Blick auf seine Reputation, Wahrnehmung und Attraktivität im Markt? Diese Schlüsselfrage treibt auch in der Medizintechnik-Branche viele um. Schnellschüsse und oberflächliche Kosmetik führen hier rasch in die Sackgasse, mahnt „Employer Branding“-Experte Andreas Seltmann. Vielmehr gilt es, die eigenen echten substanziellen Werte und Stärken zu betonen und zu pflegen. Wie das geht, skizziert er im Gespräch mit der MTD-Redaktion.
Hände
Foto: ATC Comm Photo - Pexels

Herr Seltmann, Sie sind gelernter Elektro-Ingenieur. Heute vermitteln Sie Wissen und Know-how zum Thema „Employer Branding“. Wie kam es dazu?

Tatsächlich führte mich mein beruflicher Werdegang von der Elektrotechnik über den technischen Vertrieb ins Produkt-Marketing. Meine Kompetenz, erklärungsbedürftige Produkte und Technologien zu kommunizieren bzw. zu vermarkten, konnte ich dort voll zum Einsatz bringen.

Der Schritt zum Employer Branding, bei dem die Leistungen des Unternehmens an potenzielle und bestehende Mitarbeitende vermarktet werden, war dann nicht mehr fern. In meiner letzten Festanstellung bei Hekatron durfte ich diese Disziplin mehr als zehn Jahre lang ausleben und die Arbeitgeber-Marke auf- und ausbauen – das hat richtig viel Spaß gemacht.

Was verstehen Sie unter „Employer Branding“?

Eigentlich mag ich den Begriff ja gar nicht. Er sagt alles und nichts. Für mich persönlich steckt jedoch der Anspruch dahinter, das Unternehmen als Top-Arbeitgeber – eben als echte Marke – nach innen und außen in den Köpfen der Menschen zu verankern. Denn Employer Branding ist ja kein Selbstzweck. Es hat zum Ziel, Mitarbeitende zu binden und zu gewinnen.

Und warum ist „Employer Branding“ aus Ihrer Sicht heute so wichtig?

In Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels muss jedes Unternehmen in seine Mitarbeitenden und eben auch in seine Strahlkraft als Arbeitgeber investieren. Die Menschen stehen nicht mehr Schlange, um bei mir arbeiten zu wollen.

Aus dem Arbeitgeber-Markt ist ein Arbeitnehmer-Markt geworden, bei dem sich die Unternehmen bei den Menschen bewerben und nicht mehr andersherum. Ich muss also dementsprechend das, was mich als Arbeitgeber ausmacht, vermarkten und kommunizieren. Dazu gehört es, sich von anderen Arbeitgebern deutlich abzuheben, sich zu positionieren und das bekannt zu machen, was mich einzigartig macht.

Die Medizintechnik-Branche ist sehr mittelständisch geprägt. KMU bilden das Rückgrat. Wo hapert es hier aus Ihrer Sicht am meisten bei diesem Thema?

Ich bin ein großer Fan des Mittelstandes, da hier oft Macher am Werk sind. Was den Mittelstand groß gemacht hat, sind die Produkte, Erfindungen und Technologien. Mittelständler sind stolz auf ihre Produkte und Markterfolge.

Neu ist nun jedoch, dass das allein nicht mehr reicht. Jetzt braucht es zusätzlich den Stolz auf die Mitarbeitenden und auf das „WIR“. Das entsteht aber nicht einfach so. Das muss man kultivieren und dazu braucht es eine Haltung, die den Menschen nicht mehr als Produktionsmittel sieht. Viele Mittelständler sind da zwar bereits auf einem guten Weg, jedoch oft noch zu unkoordiniert, zu unstrukturiert und leider auch oft nicht professionell genug.

Sie empfehlen Ihren Kunden, im Unternehmen nach den „Goldnuggets“ zu schürfen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Was sind denn typische „Goldnuggets“?

„Goldnuggets“ sind die Stärken des Unternehmens als Arbeitgeber, die es heute schon hat. Diese sind irgendwann zur Selbstverständlichkeit geworden und werden gar nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen. Wenn Sie die eigenen „Goldnuggets“ zusammentragen, entsteht eine Transparenz, die hilft zu erkennen, was schon da ist. Sie kennen dann Ihre „Haben-Seite“. Typische „Goldnuggets“ sind zum Beispiel

  • flexible Arbeitszeitmodelle wie Teilzeitangebote,
  • mobiles ortsunabhängiges Arbeiten wie Homeoffice,
  • Kinderbetreuungsangebote in den Schulferien,
  • eine Kantine mit gesundem Essen,
  • ergonomische Arbeitsplätze,
  • Weiterentwicklungs- und Weiter­bildungsangebote,
  • Frauenparkplätze,
  • Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
  • Beteiligung der Mitarbeitenden am Erfolg des Unternehmens.

Und welche „Goldnuggets“ schlummern verborgen speziell bei KMU im Medizinprodukte-Markt?

Da hat jedes Unternehmen sicherlich seine individuellen „Goldnuggets“, die noch schlummern. Viele Unternehmen sind noch inhaber- oder familiengeführt. Das allein schon ist in der heutigen „Shareholder-Value-Zeit“ ein sehr großes Nugget.

Aber es braucht eben, wie schon beschrieben, den modernen mitarbeiterzentrierten Macher, der diese Mitarbeiterorientierung glaubwürdig lebt und in „seinem Unternehmen“ über alle Ebenen kultiviert. Denn aufrichtige Wertschätzung ist das Mitarbeiterbindungsinstrument – gestern wie heute.

Sie sagen, „Employer Branding“ sei eine Sache von „Herz, Hand und Haltung“ und weniger von der Größe des Unternehmens. Was heißt das konkret?

Für mich stehen diese drei Begriffe für „Das Herz für Mitarbeiter (und Kunden) am richtigen Fleck“ zu haben mit einem entsprechenden wertschätzenden Umgang miteinander, für das Zusammenarbeiten und „Hand anlegen“, um gemeinsam erfolgreich zu sein, sowie für eine moderne ganzheitliche unternehmerische Haltung.

Konkret bedeutet das, dass es zum Beispiel Führungskräfte braucht, die genau das leben und erlebbar machen, die Ideen ihrer Mitarbeitenden aufgreifen, die zuhören, die „Employer Branding“-Maßnahmen nicht blockieren und auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten.

Es braucht aber auch Mitarbeitende, die sich wirklich einbringen wollen, die dazugehören wollen und die ihrerseits proaktiv ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Geben und nehmen ist dabei immer noch genauso wichtig wie fordern und fördern.

 

Grafik: Andreas Seltmann
Hexagon Employer Branding (HEB)-Modell.

Wenn ein Unternehmen merkt, dass es hier Defizite hat – gibt es eine Art „Roadmap“, um zu guten Analyse-Ergebnissen zu kommen?

Genau diese Roadmap gilt es, auf der Basis der „Goldnuggets“ zu entwickeln. Stärken stärken ist hier für den Start eine gute Devise.

Aber ja, eine Roadmap braucht es in der Tat, um auch Etappenziele und Checkpoints zu kennen. Darüber hinaus ist es auch ratsam, einen Kompass mit einzupacken; denn wer die Richtung – seine Handlungsfelder – kennt, der kann auch beim „Employer Banding“ zielsicher navigieren und wird nicht in Schweden landen, wenn er nach Italien will.

Dazu biete ich zum Beispiel ein Modell (HEB-Modell) mit sechs Handlungsfeldern als Kompass an, das eine ganzheitliche Orientierung über die für das „Employer Branding“ relevanten Handlungsfelder bietet.

Welche „Goldnuggets“ werden aus Ihrer Erfahrung von Unternehmen eher unterschätzt, eventuell aber auch überschätzt?

Eine wertschätzende, mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur wird eher unterschätzt. Sie ist aber das Gewinnungs- und Bindungsinstrument. Denn aus der Hirnforschung wissen wir, dass wir Menschen „Kooperationsmodelle“ sind. Wir wollen dazugehören, uns einbringen und selbstwirksam sein. Eine entsprechende Unternehmenskultur, die das ermöglicht, führt automatisch zu einer starken Arbeitgebermarke.

Führung wird ebenfalls oft unterschätzt. Es gilt leider noch oft die alte Weisheit: Ich komme zu einem Unternehmen aufgrund des guten Image als Arbeitgeber, ich bleibe wegen dem Team und den Kollegen und ich gehe aufgrund meiner Führungskraft.

Führung ist ein zentrales Element einer starken Arbeitgeber-Marke und darf in keiner „Employer Branding“-Strategie fehlen. Dazu gehört aber auch, nicht alles auf die Führungskräfte abzuwälzen, sondern diese zu befähigen und aufzuklären, welche bedeutsame Funktion sie bereits im Recruiting-Prozess und beim „Em-ployer Branding“ insgesamt einnehmen.

Leistungen und Benefits werden eher überschätzt. Natürlich braucht es passgenaue Maßnahmen und Angebote, die Mitarbeitende wirklich entlasten, um zum Beispiel eine gute Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie zu ermöglichen. Es braucht aber nicht die 100-Punkte-Liste mit exotischem Obstkorb, Massage und Tischkicker. Hier gilt es immer wieder, den tatsächlichen Bedarf seiner Mitarbeitenden zu erfragen, um mit passenden Angeboten zu punkten.

Gibt es Unternehmen, die sich dem Thema „Employer Branding“ völlig verschließen? Wenn ja, weshalb?

Völlig verschließen würde ich nicht sagen. Es gibt aber noch sehr viele, die zögern oder nicht wissen, wie sie vorgehen sollen.

Unsicherheit und unter Umständen auch Ängste gegenüber Veränderungen sind weit verbreitet, bis hin zum Klassiker, dass die Unternehmensleitung sich zwar als guter Arbeitgeber darstellen will, aber Veränderungen im eigenen Führungs- und Kommunikationsverhalten nicht angehen möchte. „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, ist keine gute Grundhaltung, um eine nachhaltige und attraktive Arbeitgebermarke aufzubauen.

Der Fachkräftemangel ist im Medizintechnik-Bereich ein zentrales Pro­blem. Ein Grund mehr, das Thema „Employer Branding“ aktiv anzugehen?

Unbedingt! Menschen werden sich in Zukunft immer öfter fragen, ob der Arbeitgeber noch der Richtige ist, ob er noch zur aktuellen Lebensphase passt.

Fragen wie: „Habe ich gute Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren (auch als Vater!)?“ – „Wie gelingt es mir, Beruf und Pflege von meinen pflegebedürftigen Angehörigen zu vereinbaren?“ – „Wie kann ich mein Hobby als Single mit meinem Beruf vereinbaren?“ stellt sich doch jeder.
Entsprechend seinem individuellen Lebensmodell werden dann Entscheidungen pro oder contra Arbeitgeber getroffen. Diejenigen Unternehmen, die Brücken bauen, werden zu den Gewinnern gehören.

Dazu gehört es aber, als Arbeitgeber strategische Handlungsfelder zu definieren, die für das Unternehmen besonders relevant sind. Eine „Employer Branding“-Strategie sorgt für den konzeptionellen Rahmen, in dem Maßnahmen dann wirksam werden können und auch auf die „Employer Branding“-Strategie einzahlen.

Gibt es Warnzeichen für Unternehmen – intern und extern – dass es hinsichtlich der eigenen Markt-Mitarbeiter-Performance Defizite gibt?

Ja klar – die gibt es. Dies sind zum Beispiel eine sinkende Mitarbeiterzufriedenheit (diese sollte man aber auch messen) oder auch lange Rekrutierungszeiträume, sowie eine steigende Fluktuationsrate. Aber auch steigende Krankenquoten oder die Eigenkündigungsquote während der Probezeit sind Indikatoren dafür.

Nicht zuletzt gehört es heute mit dazu, die einschlägigen Arbeitgeber-Bewertungs-Plattformen wie kununu im Blick zu behalten. Wenn dort aktuelle und ausgeschiedene Mitarbeitende immer über dieselben Defizite berichten, dann ist in der Regel auch etwas dran.

Gibt es Trugschlüsse, die mit dem Begriff „Employer Branding“ verknüpft sind?

Wenn „Employer Branding“ als Projekt oder Maßnahme verstanden wird, um „die neue Karriere-Homepage“ oder den Azubi-Flyer zu erstellen oder auch um auf Job-Start-Börsen aufzutauchen, dann ist es ein Trugschluss, damit den Arbeitskräftemangel zu lösen.

Wird „Employer Branding“ jedoch als kulturverändernde, ganzheitliche strategische Haltung verstanden, dann leiten sich hiervon erfolgversprechende Personal-Marketingmaßnahmen und eine entsprechende Führungskultur ab, die das Recruiting optimal unterstützen.

Wenn Sie typische KMU im Medizinprodukte-Markt als „attraktive Arbeitgeber-Marke“ definieren müssten – worauf kommt es an?

Auf Herz, Hand und Haltung, aber auch darauf, jetzt zu handeln. Es gilt, unternehmerisch, auf der Basis seiner Stärken, seine Handlungsfelder konsequent anzugehen. Es gilt, die entsprechenden Ressourcen zu schaffen, um für dieses erfolgskritische Thema Verantwortlichkeiten, Strukturen und Prozesse sowie Hutträger zu benennen. Es gilt, gleichermaßen nach innen und außen zu arbeiten. Und das Thema muss von ganz oben wirklich gewollt sein und vorgelebt werden.

Herr Seltmann, danke für das Gespräch.

Foto: Manu Uebler
Andreas Seltmann.

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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