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9. August 2024
Redaktion
Serie: Hilfsmittelversorgung in der Praxis – V

Grundlagen des Behinderungsausgleichs

In der letzten Folge ging es um das Versorgungsziel des Behinderungsausgleichs und Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Behinderungsausgleich. In dieser Folge wird es um die Bedeutung der Teilhabe zur Begründung des Anspruchs auf Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich gehen.
Foto: rawpixel/Freepik

Der geänderte Behinderungsbegriff

Der Begriff einer Behinderung im Sinne des Sozialgesetzbuches wurde in Folge des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX geht es um körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen, die die Menschen in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft dauerhaft hindern.

Das SGB IX gilt für verschiedene Sozialleistungsträger. Dabei hat sich das Bundessozialgericht (BSG) mittlerweile in mehreren Urteilen mit dem Begriff der Teilhabe und dem Behinderungsausgleich in der GKV beschäftigt hat.

 

Hilfsmittelversorgung in der Praxis IV: Grundlagen des Behinderungsausgleichs I

Bedeutung der Teilhabe

Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Defizite an. Es reicht also nicht aus, wenn für die Bewertung eines Anspruchs auf Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich nur auf eine medizinische Diagnose abgestellt wird. Denn im Vordergrund steht vielmehr das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes. Nur das entspricht einem dynamischen Behinderungsbegriff im Sinne einer Wechselwirkung zwischen umweltbezogenen und personenbedingten Kontextfaktoren.

Es ist die Aufgabe des Hilfsmittelrechtes, dem behinderten Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Nicht aber, ihn von sämtlichen Lebensgefahren fernzuhalten und damit einer weitgehenden Unmündigkeit anheimfallen zu lassen. Die Bedeutung der Teilhabe gilt unabhängig davon, ob es sich um ein Hilfsmittel zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich handelt.

Die positiven Auswirkungen der Rechtsprechung des BSG machen sich vor allem im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs bei Hilfsmitteln zur Mobilität bemerkbar, wie die aktuelle Rechtsprechung der Sozialgerichte zeigt.

Mittelbarer Behinderungsausgleich und Teilhabe

Bei Hilfsmitteln zur Mobilität wie Rollstühlen, restkraftunterstützenden Antrieben oder Handbikes wird zwar nach wie vor darauf abgestellt, dass Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen sei, nur die Mobilität im Nahbereich zur Erledigung der Alltagsgeschäfte sicherzustellen. Das bedeutet aber nicht, dass ein Versicherter lediglich auf einen Basisausgleich im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt ist. Entscheidend ist, dass das begehrte Hilfsmittel wesentlich dazu beiträgt oder zumindest maßgebliche Erleichterung verschafft, den Nahbereich in zumutbarer und angemessener Weise zu erschließen.

Dabei hat das BSG in seiner jüngsten Rechtsprechung den Begriff des Nahbereichs den veränderten Lebensumständen angepasst. Dieser wird nicht mehr ausschließlich auf die von Fußgängern zurückgelegten Strecken beschränkt. Entscheidend ist, ob die Alltagsgeschäfte (z. B. Einkäufe) selbstständiger oder selbstbestimmter erledigt werden können. Selbst, wenn es sich hierbei nicht mehr um typische fußläufige Entfernungen handelt. Damit wird dem Rechnung getragen, dass z. B. im ländlichen Bereich Geschäfte des täglichen Lebens gerade nicht mehr fußläufig zu erreichen sind.

Um diese Wege zurückzulegen, können je nach bestehenden Einschränkungen verschiedene Hilfsmittel in Betracht kommen. Zum Beispiel sind sowohl ein Elektrorollstuhl als auch ein Greifreifenrollstuhl mit restkraftunterstützendem Antrieb geeignet, eine bestimmte Strecke von A nach B zurückzulegen.

 

Eigene Körperkraft ist entscheidend

Aber zum Anspruch gehört auch, dass die Wege zur Erledigung der Alltags­geschäfte mittels eigener Körperkraft zurückgelegt werden. Verfügt ein Versicherter noch über ausreichende Körperkraft, um seinen Rollstuhl selbstständig mit einem unterstützenden Antrieb zu nutzen, kommt ein Verweis auf einen Elektrorollstuhl nicht in Betracht, selbst wenn dieser für die Krankenkasse günstiger wäre.

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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