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16. November 2017
Redaktion

Das SGB V gibt keinen Raum für Open-House-Verträge

(10/2017)  Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz ist rund ein halbes Jahr in Kraft. Über ein erstes Fazit sprach die MTD-Redak­tion mit Martina Stamm-Fibich, SPD-Abgeordnete und Mitglied des Petitionsausschusses sowie des BT Gesundheitsausschusses.
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Foto: privat
MdB Martina Stamm-Fibich

Unter anderem dank ihrer Initiative ist das HHVG überhaupt realisiert worden. Im Mittelpunkt stand der Wille, die Qualität in der Hilfsmittelversorgung zu verbessern. Ein zweiter Gesprächspunkt waren die Open-House-Verträge. Dabei positioniert sich die Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für den Heil- und Hilfsmittelbereich eindeutig.
Frau Stamm-Fibich, Sie waren ja parteiübergreifend mit Ihrem Kollegen Dr. Roy Kühne und dem damaligen Pati­entenbeauftragten Karl-Josef Laumann maßgeblich an der Konzeption des HHVG beteiligt. Zielsetzung war, die Qualität der Hilfsmittelversorgung zu verbessern. Welche Regelungen sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Das Thema Hilfsmittel beschäftigt mich inzwischen seit knapp drei Jahren. Ausschlaggebend war eine Petition beim Deutschen Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung. Diese Petition weist auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin. Die Monatspauschalen der gesetzlichen Krankenkassen liegen derzeit zum Teil unter 10 Euro. Das reicht bei Weitem nicht aus, um die Versicherten mit vernünftigen Produkten zu versorgen. Das bestätigt auch eine Analyse des Bundesrechnungshofes. So kalkulieren die Rechnungsprüfer in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages mit monatlichen Preisen zwischen 31,50 Euro und 52,50 Euro. Das sind Beträge, die durch die Pauschalen der Krankenkassen zum Teil drastisch unterschritten werden.
Durch meine Hartnäckigkeit und durch viele Gespräche unter anderem mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl Josef Laumann, ist der Stein ins Rollen gekommen. Auch der Petitionsausschuss hat das Problem erkannt und die Petition mit einem hohen Votum an das Bundesministerium für Gesundheit überwiesen.
Für mich war von Anfang an klar, dass die Situation der Betroffenen besser werden muss. Wirtschaftlichkeit darf nicht der einzige Maßstab sein. Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für die
individuellen Bedürfnisse der Patienten. Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er bei seiner Krankenkasse ordent­lich versorgt wird.
Das HHVG setzt die nötigen Rahmenbedingungen für eine patientengerechte, aber finanzierbare Versorgung Betroffener mit Hilfsmitteln. Wir haben mit dem HHVG die Voraussetzungen geschaffen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus Wirtschaftlichkeit, Qualität und Serviceleistung gelingen kann.
Besonders hervorzuheben sind vor allem zwei Punkte: Wir schaffen Transparenz über die Aufzahlungen für die Patientinnen und Patienten, und individuell angefertigte Hilfsmittel und Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil dürfen nicht mehr von den Krankenkassen ausgeschrieben werden.
Gibt es Punkte, bei denen in der neuen Legislaturperiode nachgebessert werden muss? Teilweise ist ja schon die Rede von einem HHVG II.
Ich begleitet die Umsetzung des HHVG aus nächster Nähe. Aktuell sehe ich noch keinen Nachbesserungsbedarf und halte auch die Forderung nach Nachbesserungen für zu voreilig, da das Gesetz noch nicht einmal ein halbes Jahr in Kraft ist.
Ich bin dankbar für alle Hinweise und Verbesserungsvorschläge und werde weiter im Dialog mit Patientinnen und Patienten, Krankenkassen und Leistungserbringern bleiben.
Es gibt Aussagen von Insidern, dass es seitens der Marktteilnehmer, also den Leistungserbringern und Krankenkassen, Umgehungsstrategien hinsichtlich der neuen gesetzlichen Regelungen gibt. Sind Ihnen solche Vorwürfe bekannt?
Ja, gehört habe ich von solchen Vorwürfen, aber konkrete Beispiele sind mir bisher nicht bekannt.
Sogenannte Open-House-Verträge sind zurzeit das überragende Thema hinsichtlich der Auslegung des Gesetzes. Sind Open-House-Verträge in der Hilfsmittelversorgung durch das SGB V abgedeckt?
Nein, aus meiner Sicht sind Open-House-Verträge in der Hilfsmittelversorgung nicht durch das SGB V abgedeckt. Um der Brisanz des Themas gerecht zu werden, habe ich am 5. September zu einem Fachgespräch in den Deutschen Bundestag eingeladen. Mir war es wichtig, dass alle Akteure „auf neutralem Boden“ ins Gespräch kommen, bevor sich die Fronten weiter verhärten. Ziel des Gesprächs war es, alle Positionen anzu­hören und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Allerdings war es in dieser Konstellation leider nicht möglich, das Thema abschließend zu klären. Ich dan­ke trotzdem allen Gesprächspartnern, dass sie den Dialog ermöglicht haben.
Sollten Open-House-Verträge im Rahmen der Hilfsmittelversorgung aus Ihrer Sicht erlaubt werden?
Nein, definitiv nicht!
Immer wieder höre ich das Argument, dass Open-House-Verträge im Arzneimittelbereich sehr positiv beurteilt werden. Das mag sein, aber zwischen Arzneimitteln und Hilfsmitteln liegen Welten. Bei Arzneimitteln geht es nicht um die Vergütung einer Dienstleistung, wie dies bei Hilfsmitteln der Fall ist. Im Hilfsmittelbereich muss auch die Dienstleis­tung des Leistungserbringers entsprechend honoriert werden.
Außerdem widersprechen sog. Marktanalysen, wie sie einem Open-House-Vertrag vorgeschaltet sind, ganz klar der Intention des Gesetzgebers. Wir haben bewusst und wortwörtlich das Wort „Verhandlungen“ ins Gesetz geschrieben. Verhandlungen müssen auf Augenhöhe stattfinden. Leistungserbringer müssen gehört werden. Das ist bei Marktanalysen nicht der Fall.
Eindeutig gegen Open-House-Verträge ausgesprochen haben sich auch das Gesundheitsministerium und Herr Laumann, u. a. gegenüber der Fachvereinigung Medizin Produkte (FMP), und das Bundesversicherungsamt. Die Kaufmännische Krankenkasse als Protagonist unter den gesetzlichen Krankenkassen hält derzeit trotzdem an diesem Verfahren fest. Sie haben, wie Sie schon angedeutet haben, Anfang September die KKH, einen Vertreter aus dem Minis­terium, Vertreter einiger Hersteller- und Leistungserbringerverbände sowie Juristen zu einem Gespräch eingeladen. Nach unseren Informationen hat die KKH dabei keine Abkehr von ihrer bisherigen Praxis bekundet. Wie sollten das Ministerium und das BVA darauf reagieren?
Ja, sie haben recht, die KKH hat im Gespräch keine kurzfristige Lösung in Aussicht gestellt. Aus meiner Sicht reicht es nicht aus, jetzt auf eine Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen zu warten. Wir brauchen eine kurzfristige Lösung, die sowohl der Krankenkasse als auch den Leistungserbringern gerecht wird. Deshalb mein Appell: Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück.
So weit ist es aber (noch) nicht. Derzeitiger Stand ist, dass die KKH den Verpflichtungsbescheid des BVA gerichtlich anfechtet. Bis ein solches Verfahren in der letzten Instanz entschieden ist, können Jahre vergehen. Wie sollten die Leistungserbringer aus Ihrer Sicht mit dieser Situation umgehen?
Mir ist klar, dass die Situation für die Leis­tungserbringer unbefriedigend und auch ärgerlich ist. Deshalb ist es wichtig, dass sie ihre Kritik am Verfahren an verschiedenen Stellen im Gesundheitssys­tem platzieren. Sie müssen ihre Probleme mit den Open-House-Verträgen so konkret wie möglich formulieren. Ziehen sie an einem Strang, dann können sie nicht überhört werden. Wenn alle Leis­tungs­erbringerverbände beispielsweise ein gemeinsames Positionspapier unterzeichnen würden, rechne ich mit einer starken Schlagkraft.

MdB Martina Stamm-Fibich
Ist bei einer so langen, potenziell rechtsfreien Situation nicht auch das Ministerium hinsichtlich einer raschen Klarstellung zum Schutz der mittelständischen Leistungserbringer gefragt?
Ja, ich sehe hier auch das Ministerium in der Pflicht. Gesundheitsminister Gröhe hat sich zum Thema Open House im Hilfsmittelbereich bereits eindeutig posi­tioniert. Da das Ministerium aber nicht in SPD-Hand ist, kann ich Ihnen leider zum aktuellen Stand im BMG nichts mitteilen.
Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich, vielen Dank für diese interessanten und vor allem konkreten Informationen. Erfreu­lich ist, dass Sie und auch andere involvierte politische Vertreter sich einmü­-tig gegen Open-House-Verträge in der Hilfsmittelversorgung aussprechen.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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