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Die KKH hatte 2020 mehrere bundesweite Beitrittsverträge im Versorgungsbereich ableitende Inkontinenzhilfen geschlossen. In Bezug auf den „Beitrittsvertrag F“ hatte das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit Schreiben vom 11. August 2020 diesen Beitrittsvertrag als problematisch bewertet, da die Krankenkasse in diesem Vertrag Versorgungen mit explizit benannten 10-Stellern zum Vertragsinhalt machte.
Im Ergebnis gelangte das BAS zu dem Schluss, dass solche Verträge nicht zulässig sind und nicht im Rahmen von § 127 Abs. 1 SGB V geschlossen werden dürfen. Schließlich teilte die KKH dem BAS Ende April 2021 mit, dass man besagten streitgegenständlichen Vertrag nach erfolgter aufsichtsrechtlicher Anordnung mit sofortiger Wirkung am 13. April 2021 gekündigt habe (wir berichteten).
Urteil mit Folgen
Nun die richterliche Kehrtwende: Mit Beschluss vom 21. Juni (liegt der Redaktion vor) hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg einen Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Januar 2022 im Beschwerdeverfahren aufgehoben und im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass der strittige Rahmenvertrag über die Hilfsmittelversorgung der Versicherten mit ableitenden Inkontinenzhilfen nach § 127 Abs. 1 SGB V (LEGS: 19 99 L26) nicht durch die Kündigungserklärung der KKH mit Schreiben vom 13. April 2021 beendet wurde. Die Entscheidung im Eilverfahren ist unanfechtbar. 
Dabei führt das LSG im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen Prüfung diverse Gründe an, die zum Teil das künftige Vertragsgeschehen im Hilfsmittelbereich nachhaltig verändern könnten. Im vorliegenden Fall habe die Aufsichtsbehörde mit Datum vom 8. April 2021 gegenüber der KKH verfügt, „die vertraglichen Regelungen von sog. 10-Stellern in der Anlage 2 „Preisvereinbarung“ des mit dem Vertragspartner geschlossenen Rahmenvertrages im Versorgungsbereich außerordentlich zu kündigen“. 
Mit Schreiben vom 13. April 2021 kündigte die Kasse den streitigen Vertrag gegenüber dem Vertragspartner vollständig und mit sofortiger Wirkung außerordentlich. „Die Wirksamkeit dieser Kündigung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten zweifelhaft“, so das LSG. 
Das LSG-Urteil im Detail 
Der Senat hat durchgreifende Zweifel, ob die Vereinbarung von 10-Stellern eine „erhebliche Rechtsverletzung“ darstellen. Es stelle sich nicht die Frage, ob die Vereinbarung von 10-Stellern überhaupt rechtswidrig ist, sondern vielmehr müsse es sich um eine „schwerwiegende Rechtswidrigkeit“ handeln.  
Die Aufsichtsbehörde sehe die Erheblichkeit des Rechtsverstoßes darin, dass konkurrierende Leistungserbringer bei einem Beitritt zu dem streitigen Vertrag preislich benachteiligt würden, indem diese von dem Erhalt der gleichen Vergütung wie die Antragstellerin ausgeschlossen würden. Damit sei das Beitrittsrecht des § 127 Abs. 2 SGB V in seinem Kern verletzt. Diese Begründung kann der Senat so nicht nachvollziehen. Es gehe um das Recht jedes Leistungserbringers, seinen eigenen Vertrag aushandeln zu können. Das Beitrittsrecht sei nur eine angebotene Erleichterung bei der Realisierung dieses Rechts. 
Daraus leite sich ab, dass das Beitrittsrecht in seinem Kern – anders als die Aufsichtsbehörde meine – nicht darauf ausgerichtet sei, dass bei einem Vertragsschluss eine möglichst große Beitrittsfreundlichkeit bzw. -möglichkeit herzustellen ist. Vielmehr erschöpfe sich das Beitrittsrecht darin, einem Wettbewerber einen im Vergleich zu eigenen Vertragsverhandlungen vereinfachten Weg zum Vertragsschluss zu ermöglichen. 
Auf Grundlage dieses Normverständnisses kann der Senat nicht erkennen, dass besagter Vertragspartner der KKH bei Vertragsschluss verpflichtet gewesen sei, aus Rücksicht auf eine Beitrittsmöglichkeit anderer Konkurrenten keine 10-Steller zu vereinbaren. 
Keine erheblichen Rechtsverletzungen
Der Senat erkennt „auch im Übrigen“ keine erhebliche Rechtsverletzung durch die Vereinbarung von 10-Stellern in dem Vertrag. In dem streitigen Vertrag seien teilweise für die Produkte des Vertragspartners konkrete Preise vereinbart, die von den Preisen für die Produkte anderer Hersteller abweichen, die ebenfalls von diesem Vertragspartner vertrieben werden. 
Es sei jedoch vertraglich ausdrücklich geregelt, dass das Wahlrecht zwischen den verschiedenen angebotenen Produkten den Versicherten zustehe. Im Verhältnis zu den Versicherten wirke sich daher die Vereinbarung von teilweise höheren Preisen für 10-Steller nicht aus. Sollte sich der Vertragspartner nicht an diese Neutralitätsverpflichtung halten, so wäre dies ein Verstoß gegen den Vertrag, was aber keine Rechtsverletzung durch den Vertrag als solchen darstelle, so das LSG. 
Kein Verstoß gegen Wirtschaftlichkeitsgebot
Es liege auch kein erheblicher Rechtsverstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vor. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Vertragsschluss den Kräften der Vertragsverhandlungen auszusetzen, impliziere, dass die Ergebnisse der Vertragsverhandlungen nicht einheitlich sind und dass die Kräfte eines einem Wettbewerb unterliegenden Marktes wirken. Gerade dies habe der Gesetzgeber nicht zuletzt aus Gründen der Qualitätssicherung gewollt. 
Wenn daher im Spiel dieser Kräfte für ein konkretes Produkt ein spezifischer Preis ausgehandelt werde, so sei dies systemimmanent und kein erheblicher Rechtsverstoß. So dürfte es laut LSG „allen Leistungsanbietern freistehen, zu versuchen, mit den Krankenkassen in den Rahmenverträgen 10-Steller zu vereinbaren“. 
Auch kritischer Blick auf Rahmenverträge 
Interessant ist die Einschätzung des Gerichts, dass die damit verbundene grundsätzlich geringere Beitrittsfreundlichkeit solcher Verträge „dem in letzter Zeit erkennbaren Bestreben mancher Krankenkassen zuwiderlaufen“ würde, „nur einen Rahmenvertrag abzuschließen und dann darauf hinzuwirken, dass andere Leistungserbringer diesem beitreten sollen. Allerdings dürfte diese Entwicklung vom Gesetzgeber so nicht beabsichtigt gewesen sein, vielmehr einen Rückschritt in Richtung der vorherigen vergabeorientierten Regelung darstellen.“
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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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