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31. Januar 2023
Redaktion
Round Table Gesundheitswirtschaft

Medtech-Standort Deutschland sichern und stärken

Bereits anlässlich der Medica hatten mehrere Branchen-Verbände Alarm geschlagen: Ukraine-Krieg, Lieferkettenstörungen, steigende Material-, Energie- und Logistikkosten – das alles nimmt der deutschen Medtech-Branche mehr und mehr die Luft zum Atmen. Von der Herausforderung MDR einmal ganz zu schweigen (wir berichteten). Warnungen und Kritik sind das eine, konkretes Handeln das andere. Der „Round Table Gesundheitswirtschaft“ ist hierfür ein erster wichtiger Schritt.
Foto: Peggy & Marco Lachmann-Anke/Pixabay

Die Bundesregierung muss die internationale Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der deutschen Medtech-Branche stärken. Das war die gemeinsame zentrale Botschaft der fünf Branchenverbände der Medizintechnik- und Diagnostik-Industrie BVMed, Spectaris, VDDI, VDGH und ZVEI bei der Auftaktveranstaltung zum „Round Table Gesundheitswirtschaft“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Ende November.

Medizinprodukte: Wettbewerbs- und Innovationskraft im Fokus

Dafür sei es nötig, die Translationsprozesse von der Forschung zur Produktanwendung in Deutschland zu vereinfachen und zu beschleunigen, so die Verbände gegenüber Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck und der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner.

Die Verbände verwiesen darauf, dass die mittelständisch geprägte Medtech-Branche durch die Kostenexplosionen bei Energie-, Rohstoff- und Transportpreisen sowie die neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte und Diagnostika (MDR und IVDR) unter großem Druck stehe. Umso nötiger sei es, gerade kleine und mittelständische Unternehmen bei der Umstellung auf MDR und IVDR durch Förderprogramme und Netzwerke für klinische Daten besser zu unterstützen.

Zudem müsse die Markteinführung von Innovationen beschleunigt werden. „Deutschland muss passende Instrumente der Methodenbewertung entwickeln und den Unternehmen einen Zugang zu Versorgungsforschungsdaten ermöglichen“, sagte der BVMed-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan im Namen der Medtech-Verbände. Im Kern geht es aus Sicht der Verbände um folgende Ziele:

  • Stärkung des Medtech-Standortes Deutschland in Richtung strategischer Resilienz,
  • Erhalt der Innovationskraft durch Abbau des hohen Bürokratieaufwandes sowie durch Nutzung von Gesundheitsdaten,
  • Schaffung eines klimagerechten Gesundheitswesens im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie.

Der Round Table Gesundheitswirtschaft des BMWK und der Verbände der industriellen Gesundheitswirtschaft ist als gemeinsames, mehrjähriges Dialogformat konzipiert. Es soll die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen stärken, die Standortbedingungen in Deutschland verbessern und die industrielle Gesundheitswirtschaft sichtbarer machen.

Bis Ende 2023 sind fünf Arbeitstreffen mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten geplant.

5-Punkte-Sofortprogramm von Spectaris

Parallel dazu legte der Industrieverband Spectaris nach. Angesichts „existenzbedrohender Herausforderungen“ für die deutsche Hightech-Industrie wandte sich der Verband mit einem „5-Punkte-Sofortprogramm“ an die Bundesregierung. Der Verband sieht dringenden Handlungsbedarf mit Blick auf die Forschungs-, Außen-, Mittelstands- und Arbeitsmarktpolitik. Ziel müsse es sein, langfristige negative Folgen für die deutsche Wirtschaftsstruktur abzuwenden. „Die Zeit des Zögerns ist vorbei“, so Spectaris-Vorsitzender Ulrich Krauss. Die Forderungen im Überblick:

  • Mit Blick auf den Fachkräftemangel müssen wesentliche Barrieren für eine qualifizierte Migration beseitigt werden. Ein im europäischen Ausland erworbener Berufsabschluss muss schneller und unbürokratischer als gleichwertig anerkannt werden.
  • Verstärkte Forschungsförderung. Keine wie im aktuellen Bundeshaushalt vorgesehene Budgetkürzungen für bewährte Förderprogramme. Erhöhung der Quote der steuerlichen Forschungszulage von 25 auf 40 Prozent sowie deutliche Beschleunigung der Begutachtungsprozesse von Förderanträgen für innovationsorientierte Forschung und Entwicklung.
  • Mehr Personal in den beteiligten Referaten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), um steigenden Bearbeitungszeiten für genehmigungspflichtige Ausfuhren, Auskünfte zur Güterliste und Empfängeranfragen entgegenzuwirken.
  • Umsetzung einer selbstbewussten Strategie gegenüber China als Deutschlands wichtigstem Handelspartner. Reziprozität für ausländische Unternehmen in China ist dabei maßgebend: „Freier Zugang hier bedeutet freier Zugang dort“, so Krauss.
  • „Mutige“ Sofortmaßnahmen auf EU-Ebene, um einen soliden und vorhersehbaren Rechtsrahmen im Zuge der MDR-Umsetzung zu schaffen.

Lieferketten-Krise im Medtech-Bereich

Mit den anhaltenden Lieferkettenproblemen im Medtech-Bereich befasste sich eine Untersuchung der H&Z-Unternehmensberatung in Kooperation mit Spectaris. Dabei berichteten mehr als drei Viertel der Befragten von stark gestörten Lieferketten, verbunden mit deutlichen Kostensteigerungen sowie Versorgungsproblemen, insbesondere bei Elektronikkomponenten.

Produkte neu zu entwickeln und gleichzeitig Bestandsprodukte zu optimieren und zu pflegen, könne Entwicklungsabteilungen und damit Innovationen ausbremsen. „Die Konzentration auf Kernprodukte, die Einführung agiler Entwicklungsmethoden, Outsourcing oder die Etablierung dedizierter Teams zur Umsetzung von Produktpflege sowie Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen, genannt Corrective and Preventive Action (CAPA), können helfen, diesen Bremsklotz zu lösen und die Entwicklungsgeschwindigkeit zu steigern“, rät Hans-Martin Lauer, Prinzipal bei der H&Z-Unternehmensberatung.

Auch müsse die derzeitige Art der Organisation und Steuerung von Lieferketten überdacht werden. Der Report zeige, dass Konzepte wie Demand Planning und Sales and Operations Planning (S&OP) weitere Lösungsansätze sein könnten.

Die Stellhebel in der organisatorischen Resilienz, dem sogenannten Resilience Framework, können ebenfalls genutzt werden. Dazu zählen beispielsweise das Lieferanten- und Vertrags-Risikomanagement sowie das Produktlebenszyklus-Management (PLM). Mit der wachsenden Bedeutung von Daten werde auch die Entkopplung von Hard- und Software immer wichtiger: Beides müsse technisch zusammenpassen, aber nicht zwangsläufig gemeinsam entwickelt werden.

BVMed mit plakativer Kostenrechnung

Ergänzend dazu verwies der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) anlässlich des Welt-Dekubitus-Tages am 17. November auf den enormen Kostendruck, unter dem derzeit die Hersteller von Anti-Dekubitus-Produkten leiden. Wie dramatisch die Entwicklung ist, verdeutlichte der Verband anhand folgender Zahlen:

  • Anstieg der Preise für Schaumstoffe und Kunststoffe für AD-Hilfsmittel (Stand September 2022) gegenüber dem Vorjahresmonat um 21,6 Prozent. Anstieg der Zellstoffpreise um 43,4 Prozent und der Vliesstoff-Preise um 18,4 Prozent. Die aktuelle Auswertung des Destatis weise eine Preissteigerung auch bei (Gummi- und) Kunststoffwaren von bis zu 13 Prozent nach.
  • Bei den Rohstoffen für die Herstellung der benötigten Schaumstoffe kommt es seit Sommer 2020 zu Schwierigkeiten in den Produktionskapazitäten. Ausfälle führten zu einem Engpass der Rohstoffe Isocyanaten und Polyolen und zu Kostensteigerungen um 100 Prozent. Das hatte zur Folge, dass sich die Kosten für diese speziellen Schaumstoffe in dieser Zeit verdoppelt haben.
  • Anstieg der Kosten für Textilkomponenten für Bezüge (Stand September 2022) gegenüber dem Vorjahresmonat um 16,7 Prozent.
  • Starke Kostensteigerungen bei Verpackungsmaterialien, Elektronikkomponenten und Chips sowie stark steigende Energie- und Transportkosten.

Hilfsfonds: Hilfsmittel-Leistungserbringer gehen leer aus

Große Enttäuschung herrschte gegen Jahresende indes im Hilfsmittelsektor. Der Grund: Die Versorger im Hilfsmittelbereich sollen offenbar nicht im geplanten Hilfsfonds für Soziale Dienstleister berücksichtigt werden. Dies ergaben die Antworten der Bundesregierung auf zwei parlamentarische Anfragen der Abgeordneten Simone Borchardt (CDU/CSU) im Bundestag.

Sie hatte sich erkundigt, ob die Bundesregierung Engpässe in der Hilfsmittelversorgung aufgrund der starken wirtschaftlichen Belastungen der durch die aktuellen multiplen Krisen und der in der Folge notwendigen langwierigen Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern über Refinanzierungsmöglichkeiten der hierdurch verursachten Kostenexplosionen in der Hilfsmittelversorgung zu verhindern gedenkt.

Die Antwort der Bundesregierung: „Ambulante Leistungserbringer wie Arztpraxen, Heil- und Hilfsmittelerbringer werden von den umfangreichen Entlastungsmaßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms, insbesondere von den geplanten Energiepreisbremsen, profitieren.“ Auf den Hilfsfonds für Soziale Dienstleister geht die Bundesregierung indes nicht ein.

Das Leistungserbringer-Bündnis „Wir versorgen Deutschland“ (WvD) kritisierte die Entscheidung. „Hilfsmittelleistungserbringer können aufgrund der besonderen Vertragsstrukturen im Gesundheitsbereich die derzeitigen Kostenexplosionen im Gegensatz zu anderen Unternehmen nicht an ihre Patienten weitergeben,“ mahnten Kirsten Abel und Patrick Grunau, Generalsekretäre von WvD, an.

Zwar begrüße man, dass die Regierung durch das Vorziehen der Gas- und Strompreisbremse weitere Entlastungen für KMU auf den Weg gebracht hat, so Abel und Grunau weiter, dies alleine könne die besonderen wirtschaftlichen Belastungen im Hilfsmittelbereich jedoch nicht ausreichend kompensieren.

Im Vorfeld hatte WvD bereits an die Politik appelliert, beim angekündigten Hilfsfonds für soziale Dienstleister nicht – wie schon bei den Corona-Hilfen – die Hilfsmittelbranche wieder zu vergessen. Offenbar vergebens.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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