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29. Juni 2020
Redaktion
Behandlung von Covid-19-Patienten

Leistungsfähige Beatmungsgeräte wichtiger denn je

von Rüdiger Kramme

Eine unbekannte Herausforderung brei­tet sich seit Ende 2019 pandemisch aus: eine neue Variante des Coronavirus (2019-nCoV, SARS-CoV-2), die nicht nur Atemwegserkrankungen – von einer Erkältung über Lungenentzündung bis hin zu schwereren Krankheiten wie SARS – auslöst, sondern auch das Herz-Kreislauf- und Nerven-System sowie Nieren in Mitleidenschaft zieht.
Foto: PIRO4D/Pixabay

Bei knapp 5 Prozent der erkrankten Pati­enten führt die Atemnot zu einem lebens­bedrohlichen Zustand, der eine apparative, intensivmedizinische Therapie unumgänglich macht. Laut WHO versterben weltweit 6,1 Prozent der Covid-19-Patienten. Notwendige Beatmungsgeräte für Covid-19-Patienten haben des­halb eine sprunghaft gestiegene Nach­frage, sodass selbst Automobilhersteller oder Heizungsbauer vereinfachte Beatmungsgeräte oder Teile in 3-D-Druck produzieren, da die Kapazitäten der origi­nären Hersteller von Beatmungsgeräten der derzeitigen Nachfrage nicht nachkommen. Allein in den USA fehlen nach Expertenmeinung 300.000 bis 700.000 Beatmungsgeräte.

Pandemievirus

Die durch das neue Coronavirus (lat. corona: kranzförmiges Gebilde, Scheitel, Wirbel), kurz 2019-CoV bzw. SARS-CoV-2, erzeugte neue und komplexe Erkrankung wird als Covid-19 (Coronarvirus-Krankheit-2019) bezeichnet. Die Infek­tion wird überwiegend aero­gen über Tröpfchen und weniger über eine Schmierinfektion übertragen. Das oder der Virus (lat. virus: Schleim, Gift, Saft) ist ein RNA-Virus mit Hülle und eingelagerten Membranproteinen (Ribonukleinsäure: Makromolekül, das eine zentrale Rolle bei der Eiweißsynthese einnimmt) in definierter Partikelform (Virion) mit einem variablen Durch­messer zwischen 60 nm und 140 nm (nm = 10–9, ein Milliardstel Meter).

Die Intensität der Ausbrüche, die Virulenz (lat. virulentia: Gestank, Gift) des Virus, die die Infektionskraft und die stammspezifischen Eigenschaften beschreibt, sowie die weltweite Ausbreitung lassen darauf schließen, dass die neue Variante von SARS (severe acute respiratory syndrome, schweres akutes respiratorisches Syndrom: Infektionskrank­heit der oberen Atemwege mit hoher Ausbreitungs- und Todesrate) kein Auslöser von sog. trivialen Erkältungskrankheiten ist. Während ca. 80 Prozent der an nCoV-19 Infizierten keine oder milde Sympto-me aufweisen, leiden etwa 14 Prozent an Atemnot unterschiedlicher Ausprägung mit lungenentzündlichen Symptomen.

Es wurde beobachtet, dass bei bis zu 50 Prozent der an Covid-19 Erkrankten, die stationär versorgt werden mussten und bestehende Grunderkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Arterio­sklerose, Herzerkrankungen u. a. aufwiesen, die Erkrankung einen schweren Verlauf nahm.

Respiratorisches System

Die Hauptaufgabe der Lungenfunktion ist die Sicherstellung eines effizienten und effektiven Gasaustauschs über die Atmung, wobei Sauerstoff aufgenommen und Kohlendioxid abgegeben wird. Das respiratorische System setzt sich aus dem oberen Luftweg (Nase, Rachen), dem unteren Luftweg (Kehlkopf, Luft­röh­re, Bronchialraum und Lungen), dem mechanischen System (Zwerchfell, Brust­muskel, Atemhilfsmuskulatur) und dem Atemzentrum in der Medulla oblongata zusammen.

Eine weitere Unterteilung erfolgt in ein atemgasleitendes (obere Luftwege, Rachen) und ein atemgasaustauschendes System (Alveolen). Die Anzahl der Alveolen liegt bei etwa 300 Mio. bei einer Gesamtoberfläche von 50–100 qm. Im unteren oder tiefen Luftweg befindet sich das mukoziliäre Transportsystem (Schleim­haut mit Flimmerhärchen, die den Atemtrakt auch von gröberen Partikeln reinigen) als Selbstreinigungsapparat. Bei vielen Atemwegserkrankungen ist dieser biologische Mechanismus gestört oder gar funktionsuntüchtig. Es kommt zu einer vermehrten Produktion und Retention von Bronchialsekret (Schleim) mit Eindickung (Borkenbildung).

Hypoxämie, ARDS, ARI

Der Begriff Hypoxämie bezeichnet den verminderten Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes. Nach einer chinesischen Studie (Januar 2020), die in der medizi-nischen Fachzeitschrift „Lancet“ publiziert wurde, wiesen ca. 5 bis 6 Prozent aller Covid-19-Patienten eine schwere Hypoxie auf, die einer invasiven oder nichtinvasiven Beatmung bedurfte. Pri­märes Ziel bei der Akutbehandlung ist die Beseitigung der Hypoxämie, indem Sauerstoff über eine Nasensonde, Sauerstoffbrille oder eine Venturi-Gesichtsmaske zugeführt wird (s. u.). Unter dem Akronym ARDS (acute respiratory distress syndrome) wird eine akute, schwere pulmonale Beeinträch­tigung als typische Lungenreaktion auf unterschiedliche krank machende Ursachen verstanden.

Das ARDS wird charakterisiert durch schwere Dyspnoe, Tachypnoe, Zyanose trotz O2-Zufuhr, verminderte Lungencompliance und beidseitige diffuse Infiltrationen in allen Lungenbereichen. Die Therapie besteht meistens aus einer maschinellen Beatmung. Typische Komplikationen im Verlauf einer Covid-19-assoziierten ARDS sind das akute Nierenversagen, Leberwerter­hö­hung sowie kardiale Ereignisse wie Kardiomyopathie, Perikarditis, Arrhythmien und plötzlicher Herztod. Bei der akuten respiratorischen Insuffizienz (ARI) erfolgt die Infektion mit SARS-CoV-2 dreiphasig: frühzeitige Infek­tion, pulmonale Manifestation und eine schwere hochentzündliche Phase mit gehäuftem Auftreten von Organversagen sowie der Schädigung der Lungen in Form einer ARDS.

Beatmungstherapien bei Covid-19

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) hat ein Positionspapier mit Empfehlungen zur apparativen Therapiestrategie der akuten respiratorischen Insuffizienz (ARI) bei Covid-19 erstellt. Nichtinvasive und invasive Beatmungs­therapie stellen oft die lebenserhaltende Therapie dar. Es dominiert die Positivdruckbeatmung, die entweder nichtinvasiv über Gesichtsmasken oder invasiv über einen Trachealtubus/eine Trachealkanüle erfolgt.

Das selbstbestimmte Leben des Patienten hat neben der Qualitätssicherung der Beatmungstherapie dabei oberste Priorität. Die Indikationsstellung, die Auswahl des Beatmungsgerätes, des Beatmungsmodus und der Beatmungsparameter obliegt dem (intensiv-)medizinischen Therapeuten. Als wesentliche Beatmungsindikationen sind eine Atemfrequenz > 30/min., schwere Atemnot und SpO2 < 90 Prozent bei Raumluft zu nennen. Je nach Ausprägung und Entwicklung von Covid-19 kommen folgende Maßnahmen in Betracht: Sauerstoff-Insufflation, High-Flow-Sauerstoff, nichtinvasive Beatmung (NIV) sowie invasive Beatmung.

1. Sauerstoff-Insufflation

  1. Low-Flow-Insufflation: Im Gegensatz zur nasalen High-Flow-Sauerstofftherapie wird die Low-Flow-Sauerstoff­therapie mit einem max. O2-Fluss von 10 l/min (in Abhängigkeit vom Atemvolumen) eingesetzt, die über eine Mund-Nase-Maske verabreicht wird. Bei einer Applikation über eine Nasen­brille ist der O2-Fluss i. d. R. 6 l/min.
  2. Nasaler High-Flow (NHF): Neben der Verabreichung von Sauerstoff über eine Nasenbrille oder Mund-Nasen-Maske sowie der nichtinvasiven Beatmung (NIV) hat sich die nasale High-Flow-Sauerstofftherapie mit hohem O2-Fluss bis zu 60 l/min. etabliert.

Für beide Verfahren wird der Sauerstoff über einen Befeuchter mit destilliertem Wasser angereichert. Bei Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen und damit verbundenem Sauerstoffmangel (hypoxämisches Atem­versagen, ARDS, ARI u. a.) ist eine Sauerstofflangzeittherapie angezeigt, die eine Sauerstoffzugabe über mindestens 16 Stun­den pro Tag vorsieht. Die Deutsche Atemwegsliga e.V. hat dazu Richtwerte definiert. Eine Sauerstofflangzeittherapie ist demnach angezeigt, wenn der Sauerstoffpartialdruck (pO2) < 55–60 mmHg (nor­mal: arteriell 80–105 mmHg, gemischt-venös 36–44 mmHg) und der Koh­lendioxidpartialdruck (pCO2) < 44 mmHg (normal: 35–43 mmHg bei Männern, 32–43 mmHg/Frauen und 27–41 mmHg/ Kinder) beträgt.

2. Nichtinvasive Beatmung (NIV)

Als nichtinvasive Beatmung (NIV/noninvasive ventilation), die häufiger angewendet wird als die invasive Beatmung, wird eine unterstützende, intermittieren­de Beatmung der Spontanatmung über eine konfektionierte, alternativ maßangefertigte Nasen- oder Nasen-Mund-Maske sowie Total-Face-Maske verstanden, also die Umgehung eines künstlichen Atemwegs zur Luftröhre. Wesentliche Vorteile der NIV sind u. a. die geringe Gefahr einer ventilatorassoziierten Pneumonie, keine tubusbeding­te zusätzliche Atemarbeit sowie die Möglichkeit der Kommunikation und Nahrungsaufnahme.

Als nachteilig hat sich erwiesen, dass häufig Luftleckagen auftreten; hinzu kommen geringere Druckkonstanz, erschwerter Atemwegszugang sowie Druckstellen im Gesichtsbereich bei längerer Anwendung. Die nichtinvasive nCPAP-Therapie (nasal continuous positive airway pressure = nasale kontinuierliche Atemwegs-Überdruckbeatmung) ist eine weitere Beatmungsform mit unterschiedlichen modifizierten Verfahren (z. B. mit positivem, endexrespiratorischem Druck, PEEP), die die Spontanatmung des Patienten aufrechterhält. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die nichtinvasive Ventilation im heutigen klinischen und außerklinischen Alltag einen der invasiven Ventilation mindestens ebenbürtigen Stellenwert aufweist.

Aktuelle Beatmungsleitlinien empfehlen, die nichtinvasive Ventilation – aufgrund der geringeren Komplikationsrate –, wenn keine Kontraindikation besteht, der invasiven Beatmung vorzuziehen.

3. Invasive Beatmung

Unter der invasiven bzw. maschinellen Beatmung wird eine Substitution der Spontanatmung und Therapie einer respiratorischen Insuffizienz verstanden. Lebensbedrohliche Störungen des Gasaustauschs im respiratorischen System liegen vor bei Patienten mit Atempumpversagen (alveolärer Hypoventilation), chronischen und hochentzündlichen Lungenerkrankungen mit erhöhten Atem­wegswiderständen sowie akuter respiratorischer Insuffizienz (Ventilations-Perfusionsstörungen).

Das Beatmungsgerät, das i. d. R. aus 500 Einzelkomponenten besteht, übernimmt im Wesentlichen die Oxygenierung des Patienten, die partielle oder absolute Übernahme der Atemarbeit sowie Überwachung des Gerätes und des Patienten mittels Alarmen und Visualisierung von vitalen oder technischen Parameterabweichungen (Monitoring). Beatmungsgeräte lassen sich aufgrund ihres Gasflowverhaltens in kontinuierliche Gasflowsysteme (continuous flow systems) oder Demand-Flow-Geräte, die lediglich einen Gasflow während der Inspirationsphase liefern, unterscheiden. Die druckkontrollierte oder druckunterstützende Beatmung hat sich bei der Behandlung von schwerer ventilatorischer Insuffizienz etabliert. Vorteilhaft ist die invasive Beatmung hinsichtlich sicherem Aspirationsschutz, kaum Luftleckagen, sehr hohen Beatmungsdrücken, direktem Atemwegszugang sowie keiner Aerophagie.

Der künstliche Atemwegszugang erfolgt invasiv durch eine translaryngeale endotracheale Intubation (Einführen eines Tubus oder einer Trachealkanüle über Nase oder Mund durch den Kehlkopf in die Trachea) oder Tracheotomie (operative Eröffnung der Luftröhre zur Einbringung einer Trachealkanüle für die Dauerbeatmung). Bei besonders schweren pulmonalen Verläufen bei Covid-19-Patienten trotz invasiver Beatmung sollte lt. Empfehlung der DPG (s. o.) eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) in Erwägung gezogen werden, um eine ausreichende O2-Aufnahme sowie CO2-Abgabe zu gewährleisten.

Kapazität von Beatmungsplätzen

Foto: Drägerwerk AG & Co. KGaA
Die Kapazitäten an intensivmedizinischen Beatmungsplätzen wurden aufgrund der Corona- Pandemie in den letzten Wochen massiv aufgestockt.

Laut Angabe des Statistischen Bundesamts stehen für die intensivmedizinische Behandlung einschließlich maschineller Beatmung (ICU High Care) 28.031 Intensivbetten (ITS-Betten) in 1.160 deutschen Krankenhäusern zur Verfügung (Stand 24. März 2020), d. h., auf 100.000 Einwohner kommen in Deutschland 33,7 ITS-Betten – und bieten damit die höchs­ten Kapazitäten in Europa.

Das Intensivregister der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) beziffert die Anzahl der ITS-Betten bundesweit auf derzeit 32.000, davon sind rd. 19.000 belegt, davon wiederum knapp 2.500 mit Covid-19-Patienten. Beatmet werden lt. DIVI (Stand Ende April) 1.553 Covid-19- Patienten. Der Bedarf an Intensivbetten und Beat­mungsgeräten ist regional ungleichmäßig verteilt. Nach Angaben von Intensivmedizinern beträgt die durchschnittliche Behandlungsdauer von Covid-19-Patienten sieben Tage. Schwere Krankheitsverläufe dauern bis zu mehreren Wochen.

 

Literatur beim Verfasser

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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