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Foto: Pexels/Pixabay

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Herr Sommer, in Zahlen, wie viele Diabetiker leiden auch an ED?
Rund 60 Prozent aller Diabetiker leiden an einer erektilen Dysfunktion (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit), also mehr als jeder zweite in Deutschland.
Wie hängen die beiden Erkrankungen organisch zusammen?
Sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes kann zu Erektions- und Ejakulationsstörungen sowie DNA-Schäden in den Spermien führen. Außerdem leiden Männer mit Typ-2-Diabetes häufig unter Testosteronmangel. Entscheidend ist, wie sehr die mikroskopisch kleinen, später auch die größeren Blutgefäße und Nerven gestört sind.
Ein zu hoher Blutzuckerspiegel verletzt das Nervensystem, vor allem bei der diabetischen Neuropathie ist die Kommunikation zwischen Hirn und Penis gehemmt. Beschädigt der Diabetes auch die Auskleidung der Arterien zum Penis, setzen sich dort Plaques ab, die Blutbahnen verengen sich – ein Super-GAU für das Hochleistungsorgan. Bei sexueller Stimulation fließt normalerweise 40- bis 100-mal so viel Blutvolumen pro Zeiteinheit in den Penis wie sonst. Ohne genügend Blut kann er sich nicht mehr aufrichten.
Das ist aber kein Grund zu verzweifeln. Werden die Strukturschädigungen im Frühstadium erkannt, kann man sie komplett rückgängig machen. Wird der Blutzucker gut eingestellt, ist auch später eine deutliche Verbesserung möglich.
Kann das Sanitätshaus die Heilungschancen für den Betroffenen unterstützen?
Ja! Denn viele Männer wissen weder, dass ihre Potenzmuskulatur im Beckenboden verankert ist, noch dass sie diese gezielt trainieren können.
Eine italienische Studie mit Männern zwischen 25 und 50 Jahren hat gezeigt, dass allein durch körperliche Aktivität und Ernährungsumstellung bei 33 Prozent der Männer wieder eine spontane Erektion möglich war, ohne Medikamente. Mehr Bewegung und eine bessere Ernährung helfen natürlich auch gegen den Diabetes.
Männer müssen auch wissen, dass Erektionsstörungen ein Vorbote für Herzinfarkt sind. Durchschnittlich vier bis acht Jahre nach der Erstdiagnose der erektilen Dysfunktion bekommt der Mann ohne Therapie einen Infarkt. Außerdem ist die ausschließliche Anwendung von PDE-5-Hemmern – wie sie beispielsweise in Viagra enthalten sind – ohne eine genaue Diagnose auf Dauer gefährlich.
Solange die Ursache für die Erektionsstörung nicht genau geklärt ist, schreitet die Krankheit fort. Oft fangen die Männer dann an, die Dosis zu erhöhen, bis sie gar nicht mehr für eine Erektion reicht. Irgendwann ist das Penisgewebe irreversibel geschädigt.
Hier können Sanitätshäuser eine wichtige Funktion erfüllen, und zwar einerseits die diabetischen Kunden zur ED und ihrem Risiko für Herzinfarkt informieren, wie auch motivieren, sich mit dem Problem an einen Facharzt/Männerarzt zu wenden, um die Ursache für die Erektionsstörung dingfest zu machen und richtig zu behandeln.
Aber ED ist ja ein sensibles Thema, wie könnte die Kundenansprache denn funktionieren?
Erst vor Kurzem kam ein Mann mittleren Alters, der früher sportlich sehr aktiv war, mit metabolischem Syndrom, der Vorstufe von Diabetes, ins Universitäts­klinikum Hamburg-Eppendorf. Er hatte sich beruflich verändert und machte jetzt viele Dienstreisen, hat viel gegessen, sich nicht mehr bewegt und war übergewichtig.
Ich sagte ihm, sein Herzinfarktrisiko liegt bei 86 Prozent innerhalb der nächsten sechs Jahre. Doch er hat nur mit den Schultern gezuckt. Die Aussicht, wieder spontan Erektionen zu haben, hat den Mann dann aber motiviert.
Anfangs ist er nur gewalkt, später noch vor dem Frühstück joggen gegangen. Eineinhalb Jahre später hatte er rund 30 Kilo abgenommen und wieder spontane Erektionen – ohne dass er sich dafür eine Pille einwerfen musste. Will sagen: Vor allem die Perspektive auf Spontaneität beim Sex ist für viele Männer eine wichtige Motivation.
Das Beispiel ist natürlich ein Arzt-Patienten-Gespräch, wie es in meiner Praxis gängig ist. Diesen „geschützten Raum“ gibt es im Fachberater-Kunden-Gespräch im Sanitätshaus eher nicht.
Wie kann ein Sanitätshaus hier aktiv beraten?
Ansätze, den betroffenen Kunden vollumfänglich und zugleich einfühlsam zu beraten, können sein:

die Frage zu stellen, ob der Diabetiker weiß, dass der Diabetes Einfluss hat auf die Potenz,
den Kunden umfassend zu informieren, was er selbst machen kann (z. B. erstattungsfähige Hilfsmittel aus dem Sanitätshaus anwenden, die die Potenz erhalten und trainieren, etwa Vakuum-Erektionshilfen),
den Mann/das Paar zu beraten, welcher Facharzt in der Frage der richtigen ED-Diagnose und Behandlung weiterhilft (der Androloge/Männerarzt) und wie sie diesen in ihrer Nähe finden können,
auf weiterführendes Informationsmaterial zu Diabetes und ED zu verweisen, das idealerweise im Sanitätshaus zur kostenlosen Mitnahme ausliegt.

Wie sieht die ideale Kundenbetrachtung bei diabetischen Patienten im Sanitätshaus Ihrer Meinung nach aus?
Ideal ist es, wenn die Sexualität bei der Betrachtung der körperlichen und seelischen Gesundheit des betroffenen Kunden offen miteinbezogen wird. Das fördert auch die Enttabuisierung des Themas ED.
Wie sähe eine komplette Betreuung/Versorgung dieser Klientel dann aus?
Etwa in der Neubetrachtung des Diabetes in Vergesellschaftung mit der ED, sodass Vorhandensein und Behandlung der ED bei Beratungsgesprächen mit Diabetikern normale Bestandteile sind.
Wenn es den Mitarbeitenden zu emotional oder intim erscheint, den Kunden selbst auf ED anzusprechen, könnte man auf Informationsmaterial zur Behandlung hinweisen, bestenfalls griffbereit für den Kunden auslegen und die Mitnahme empfehlen. Hier gibt es z. B. von der DGMG Infobroschüren zum Download, die Patienten/Kunden aufklären und ihnen weiterhelfen.
Auf meiner Website gibt es außerdem das kostenlose Trainingsprogramm für die Potenzmuskulatur. Auch hierauf könnte man Kunden hinweisen oder auch evtl. Poster aufhängen. Über interne/externe Schulungen für Mitarbeiter könnte sich das Sanitätshauspersonal auf eine umfassende Ansprache beim Kunden verständigen. 
Inwiefern profitiert das Sanitätshaus davon?
Ganz klar: Das Sanitätshaus gibt seinen Kunden mit zurückerlangtem Liebesleben ein Stück Lebensqualität zurück. Das ist bedeutsam! Außerdem hilft das Sanitätshaus aktiv dabei, das Leben der Kunden zu schützen und mitunter auch zu retten. Nicht zuletzt kommt ein Kunde, der sich gut und umfassend beraten fühlt, doch gerne wieder.
Wie behandeln Sie die ED?
Häufig hilft eine Kombination aus Medikamenten, mechanischer Therapie, etwa mit Vakuum-Erektionshilfen, und gezielten körperlichen Übungen. So lange, bis der Patient idealerweise die Medikamente weglassen kann.
Bei der Lebensstil- und Ernährungsumstellung geht es immer um das langfristige Ziel. Startet man mit Hauruck-Methoden, fallen 90 Prozent der Männer wieder in ihre alten Gewohnheiten zurück. Manche Patienten beginnen mit dreimal fünf Minuten Bewegung pro Woche. Es ist ein Weg der kleinen Schritte, aber ein kluger.
Herr Prof. Sommer, vielen Dank für das Gespräch. 
 
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