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5. Januar 2021
Redaktion

Handlungsempfehlungen zur MDR

(12/2020) von Jan Badorrek und Julia Pernice, Consultants Significon AG/Mainz
Nach verschiedenen Skandalen in den vergangenen Jahren mit defekten Medizinprodukten sollte mit einer Überarbeitung der Medizinprodukterichtlinie (MDD) eine bessere Sicherheit von Medizinprodukten und deren Überwachung gewährleistet werden. Mit der neuen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) kommen daher eine Vielzahl von Änderungen auf die Unter­nehmen zu. Die Autoren listen wichtige Neuerungen auf und geben Handlungsempfehlungen.
Foto: Significon AG
Foto: Significon AG

Die Verschiebung der Implementierung der EU Medical Device Regulation (MDR) um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 gibt den Unternehmen nun ein zusätzliches Jahr Zeit zur Umsetzung, die gut genutzt sein will. Im Folgenden werden die wichtigsten Eckpunkte in Bezug auf Qualitätsmanagement und Software zusammengefasst sowie eine kleine Hand­lungsempfehlung zur Verfügung gestellt, wie sich das zusätzliche Jahr optimal nutzen lässt.

Qualitätsmanagement

Je nach Risikoklasse standen Hersteller von Medizinprodukten schon vorher in der Pflicht, ihre Prozesse durch ein zertifiziertes Qualitätsmanagement zu überwachen und zu sichern sowie ihre Anwendungssysteme und Prozesse zu validieren. Auch wenn sich bereits die Höherklassifizierung von Produkten auf das Maß der einzuhaltenden Regularien auswirken wird, so wird die Herausforderung insbesondere für jene Unternehmen zu spüren sein, die vorher gar nicht unter die Regularien der Medizinprodukte fielen und für die von daher die Compliance zu den GxP-Regularien vollständiges Neuland bedeutet. Vorschriften betreffen nämlich ausdrücklich auch bestimmte Geräte ohne einen medizinischen Zweck, aber mit ähnlichen Eigenschaften. Dies greift zum Beispiel bei Füllstoffen und farbigen Kontaktlinsen für kosmetische Zwecke und stellt die Hersteller, die bisher nur eine CE-Kennzeichnung benötigten, vor eine ganz neue Fülle von Anforderungen. Um den gesamten Weg des Medizinprodukts bis zum Patienten rückverfolgbar zu machen, unterliegen nun ebenso erstmals auch die Inverkehrbringer (Händ­ler, Importeure oder Bevollmächtigte) diesen Anforderungen. Bisher galt nicht selten im Bereich der Medizinprodukte – anders als in der Pharma-Industrie – die Devise: „Mut zur Lücke“. Auch dafür wird zukünftig wenig Spielraum bleiben, denn erstmalig sind auch die Benannten Stellen und Inspektoren selbst in den Fokus zunehmender Kontrolle geraten. So sind diese ausdrücklich zu unangekündigten Audits angehalten; ob und welche Maßnahmen eingeleitet wurden, muss gleichfalls doku­mentiert werden und unterliegt der Über­prüfung. Dies dürfte zu einem erheblichen Anstieg von Kontrollen führen.

Technische Dokumentation und Werkzeuge

Der Umfang der zu erstellenden technischen Dokumentation des Medizinprodukts wird steigen. Neben der eindeutigen Identifikation des Produkts muss es in seinen Varianten inklusive Konfiguration und Zubehör beschrieben werden. Eine genaue Zweckbestimmung muss genauso gegeben sein wie die genaue Beschreibung des „Labelling“ und Informationen zur Auslegung und Herstellung des Produkts. Weiterhin vorgeschrieben sind die sogenannten Risikomanagementakte so­wie die Verifizierung und Validierung des Produktes. Letzteres dient dem Nachweis, dass die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt sind. Die Verifizierung und Validierung des Medizinproduktes wird durch die Triade Testbeschreibung, Testergebnis und klinische Bewertung erreicht. Dabei werden alle Aspekte des Medizinproduktes – physisch wie elektronisch – verifiziert und validiert. Die weiter oben geforderte Nachverfolgbarkeit des Medizinproduktweges bis zum Patienten und die gestiegenen Anforderungen an das Qualitätsmanagement schlagen sich in der Herstellerpflicht der Post-Market-Surveillance (PMS) nieder. Da zur Erstellung des PMS-Plans und -Reports große Datenmengen erhoben, aufbereitet und verarbeitet werden müssen, drängt sich hier der Einsatz von Software-Werkzeugen fast schon auf. Generell ist zu beachten, dass jedes Anwendungssystem und Tool, das im GxP-relevanten Bereich eingesetzt werden soll, nach ISO 13485:2016 zwingend validiert werden muss.

Was ist also zu tun?

Medizinprodukte-Hersteller sollten nun unbedingt darauf achten, die durch Coro­na „gewonnene“ Zeit in die Überprüfung der eigenen Prozesse, Risikobewertung, Dokumentationsvervollständigung und Fertigstellung des Marktnachverfolgungs- und Vigilanzwesens zu investieren. In einem Fünf-Punkte-Plan haben wir exemplarisch zusammengestellt, wie eine strukturierte Herangehensweise aussehen kann:

1. Awareness-Schulung
Als erfahrenes Beratungshaus für sowohl Pharma, Medizinprodukte als auch „Hybridunternehmen“ (im klassischen Sinne Chemie oder Fertigungsunternehmen mit nur einer kleinen Produktpalette im GxP-relevanten Bereich) empfehlen wir für den ersten Schritt zunächst unbedingt eine Awareness-Schulung, um die verantwortlichen Mitarbeiter zum einen auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen, zum anderen ein gesamtheitliches Verständnis für die Einhaltung der zusätzlichen Regularien zu erzielen.

2. Management-Commitment
Gerade für Unternehmen, die durch die Änderungen quasi „über Nacht“ vom klassischen Fertiger zum Medizinprodukte-Hersteller geworden sind, ist das Management-Commitment unverzichtbar! Zusätzliche Regularien sind lästig, verzögern die Prozesse und kosten zusätzlichen Aufwand – so häufig die spontane Einschätzung. Um die Mitarbeiter mitzunehmen, ihnen Zweck und Ziel verständlich zu machen, ist es unabdingbar, die Strategie und die Wichtigkeit für das Unternehmen als Gesamtheit zu verdeut­lichen. Ohne Compliance kein Marktzutritt. Ohne Management-Commitment fehlt erfahrungsgemäß die Akzeptanz; aufwendige Investitionen in Prozesse, Sys­teme, Schulungen etc. verpuffen, führen zu Unzufriedenheit, Abstimmungs- und Zuständigkeitsproblemen sowie Ineffizienz.

3. Fit-Gap-Analyse
Erst jetzt ist es sinnvoll, in einer Fit-Gap- Analyse zu überprüfen, wo man steht. Was ist gefordert, was ist bereits da? Welche Bestandteile der neuen Verordnung sind für mich/für das einzelne Produkt relevant? Gibt es bereits Vorgehensweisen und Inhalte, auf denen aufgebaut werden kann? Ist z. B. ein Qualitätsmanagement-Handbuch schon vorhanden? Lässt sich ITIL-verwandte Dokumentation wiederverwenden?

4. Maßnahmenplan
In einem Maßnahmenplan werden die offenen Punkte festgehalten und geeignete Maßnahmen definiert, um die Lücke zwischen Anforderung und Ist-Zustand zu schließen. Auch wenn keine Punkt­landung der vollständigen Erfüllung der Anforderungen zum 26. Mai 2021 sichergestellt werden kann, so ist dieser Maßnahmenplan dennoch das geeignete Dokument für eine etwaige Kontrolle, da es die Lücken definiert und terminiert die Schließung der Lücke darlegt.

5. Umsetzung
Der oben beschriebene Maßnahmenplan muss natürlich auch umgesetzt werden. Um hier sowohl Zeit zu sparen als auch interne Ressourcen nicht über die Gebühr zu belasten, empfiehlt sich das Hinzuziehen von externen Partnern. Diese unterstützen nicht nur mit ihrem Erfahrungsschatz die Validierung von Softwaresystemen oder die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, sondern können darüber hinaus auch spezialisierte Hilfestellungen wie die Vor­bereitung von Audits (u. a. durch Mock-Audits) leisten.

Fazit

Für eine Vielzahl von Unternehmen bedeuten die Änderungen zusätzliche oder gar neue Anforderungen an Produkte, Prozesse, eingesetzte Anwendungssys­teme, Dokumentation und Mitarbeiter. Unternehmen, die bereits zuvor zumindest für einen Teil der Produkte/Geschäftsbereiche entsprechende Prozesse etabliert, Systeme validiert, Mitarbeiter geschult und Dokumentationen erstellt haben, kommt zwar ebenso zusätzlicher Aufwand zu, jedoch können sie auf Bewährtes zurückgreifen. Für Unternehmen, für die bisher keine Notwendigkeit bestanden hat oder die diese nicht wahrgenommen haben, besteht dringender Handlungsbedarf. Da­bei ist es lohnenswert, auf erfahrene Partner zuzugreifen, um Zeit und Kosten zu reduzieren.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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