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16. Oktober 2023
Redaktion
Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen

Etwas Licht und leider auch viel Schatten

Seit 23 Jahren gestaltet die Internationale Fördergemeinschaft rehaKind e.V. das Umfeld, die Strukturen und Bedingungen der Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen aktiv mit – doch noch nie war der Verein so politisch unterwegs wie in den letzten Jahren. Angesichts notwendiger Einsparungen in vielen Bereichen, ist auch die Gesundheitspolitik in Berlin zurzeit „erhitzt“ und wir müssen für unsere kleine Gruppe der zu versorgenden jungen Menschen ihre Rechte darstellen und massiv einfordern.
Kinder
Foto: AnnieSpratt/Pixabay

In den vielen Jahren haben wir von reha­Kind gelernt: Nur eine starke Stimme wird gehört. Daher haben wir ausgehend von einer Elternpetition, die über 55.000 Unterschriften erzielt hat, das Aktionsbündnis für bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung ins Leben gerufen. Hier vereinen sich über 100 ärztliche Fachgesellschaften, Therapeutenverbände, Selbsthilfevereine, Einzelpersonen, um die individuelle Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen zu sichern. Politisch, juristisch und praktisch.

Christiana
Foto: Christiana Hennemann/rehaKind
Christina Hennemann.

Referentenwurf: Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung

Das Aktionsbündnis hat Grundlageninformationen zu den Knackpunkten der Kinderhilfsmittelversorgung an die Entscheider in Ministerien, Behörden und Politik gegeben – und wurde gehört: Seit Juni kursiert ein Referentenentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Er sieht vor, dass bei Hilfsmittelversorgungen für Kinder und Jugendliche das Prüfprogramm der Krankenkassen eingeschränkt wird, um die Bewilligungsverfahren zu beschleunigen. Das soll zunächst für Kinder und Jugendliche, die regelmäßig in einem SPZ in sozialpädiatrischer Behandlung sind, der Fall sein.

Voraussetzung ist, dass der behandelnde Arzt des SPZ die beantragte Versorgung empfiehlt – unabhängig von den verordnenden Medizinern (Bezug ist der § 33 des SGB V). Die Krankenkassen haben in diesen Fällen von der medizinischen Erforderlichkeit der beantragten Versorgung auszugehen. Insbesondere die zum Teil sehr zeitaufwändige Hinzuziehung des Medizinischen Dienstes kann unterbleiben.

Dennoch kann/muss natürlich z. B. auf Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Hierzu gibt es zahlreiche „formale Formulierungen“, die einen Missbrauch vorbeugen sollen. Das Aktionsbündnis fürchtet, dass die verbleibenden Prüfungsschritte doch noch dazu führen können, dass sich die zeitkritische Kinder-Hilfsmittelversorgung verzögert. Insofern wäre zu prüfen, ob eine folgenbewehrte Fristenregelung analog § 40 SGB XI hilfreich sein könnte.

Positives Leuchtturm-Projekt

Aber: Die Einführung einer Vermutensregelung der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels, wenn dieses durch ein SPZ empfohlen wird, ist zu begrüßen, da auf diese Weise ein eigener organisatorischer zeitraubender Verfahrensschritt auch bei den Krankenkassen überflüssig wird. Es ist zu hoffen, dass dadurch die Hilfsmittelversorgung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen erleichtert und beschleunigt werden kann.

In die Regelung sollten jedoch auch die Medizinischen Behandlungszentren (MZEB nach § 119 c), die eine Transition, den Übergang ins Erwachsenenalter analog zu den SPZ gewährleisten, aufgenommen werden. Sie versorgen Menschen mit sehr schweren Behinderungen, die oft existenziell auf Hilfsmittel im Alltag und eine entsprechend rasche und angemessene Hilfsmittelversorgung angewiesen sind.

Die Neuregelung sollte begleitend wissenschaftlich evaluiert werden. Hier bietet das Aktionsbündnis mit rehaKind neu­trale Expertise an. Auch die übrigen Verfahrensschritte bei der Hilfsmittelversorgung sollten optimiert und beschleunigt werden. Dazu sind alle Beteiligten aufgerufen, denn Beeinträchtigungen der Teilhabe durch verzögerte oder unzureichende Hilfsmittelversorgung und nicht notwendige Belastungen und Aufwendungen – sowohl der Familien, der Medizin, Therapie, Pflege und der Versorger als auch der Krankenkassen – sind zu vermeiden.

Folgeverordnungen erleichtern

Ein aktuelles Projekt der rehaKind-Arbeitsgruppe „Beatmung“ hat sich mit den erforderlichen Folgeverordnungen für chronisch Kranke, z. B. dauerbeatmete junge Menschen befasst. Hier gibt es nachweisbar Patienten, die monatlich 20 Rezepte für wiederkehrende Verbrauchsmaterialien etc. benötigen – ein bürokratischer Wahnsinn für alle Beteiligten.

In der Pandemiezeit wurden solche unbestrittenen Folgeversorgungen ohne ständige Neuverordnung erfolgreich praktiziert. Zurzeit formulieren wir konkretes, neutrales Informationsmaterial mit Praxisbeispielen, das wir den Gesundheitspolitikern vorstellen. Angesichts digitaler und anderer Bürokratieverschlankungsbemühungen ein kleines, aber lohnendes Feld, um damit zu beginnen.

Familien und Kinder als „Experten“

Erfreuliche Entwicklungen zeigen sich in Sachen Teilhabeforschung und Umsetzung in den Lebensalltag der Familien: rehaKind und unsere Eltern- und Selbsthilfeverbände werden als „Experten“ einbezogen (siehe https://rehaKind.com/netzwerk/selbsthilfe). So wirken wir beim internationalen Kongressprojekt EACD 2024 in Brügge (European Academy of Childhood Disabilities) mit. Hier berichten wir, wie wir unser neutrales Netzwerk mit Fachleuten aus Technik, Therapie und Medizin sowie den Betroffenen aufgebaut haben und so für Sichtbarkeit der Kinderreha gesorgt haben.

Für unser Jubiläumsjahr 2025 planen wir ein besonderes Format: Mitglieder, Freunde und Unterstützer treffen sich und es geht ausschließlich um Versorgungspraxis und Lebensalltag. Und 2026 gibt es dann wieder einen Focus CP-rehaKind-Kongress.

Wie kommen wichtige Ergebnisse der Versorgungsforschung in den Lebensalltag der Familien, also „auf die Straße“? Auch hierzu sind wir Projektpartner verschiedener Universitäten – und ganz spannend: Der erste Lehrstuhl für Versorgungsforschung im Kinder- und Jugendalter an der Universitätsklinik Düsseldorf setzt auf enge Kooperation mit rehaKind.

Vernetzung und Information: Strategie für die rehaKind-Zukunft

Die Sozialen Medien liefern wichtige Inputs für Eltern und Professionelle: Hier hat rehaKind das Engagement verstärkt und viele tausend Follower gewonnen. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf echter, gut recherchierter Information. Ebenfalls wird die Website von rehaKind neu und noch einfacher zugänglich gestaltet. rehaKind-Beiräte aus dem Fachhandel, der Medizin und Elternschaft sind in Gründung – das sichert Wissen aus erster Hand und direkten Draht zu den Bedürfnissen der Mitglieder und Familien.

Außerklinische Intensivpflege (AKI)

Christoph Jaschke, rehaKind-Mitglied und Begründer der Vernetzungs-Plattform www.cody.care, fasst zusammen, was die AKI-Richtlinie für die Familien bedeutet: „Die außerklinische Intensivversorgung (AKI) von Kindern und jungen Menschen ist seither geprägt vom Fachkräftemangel und des Abwälzens aller personellen und organisatorischen Defizite in der ambulanten pflegerischen Versorgung auf die An- und Zugehörigen.

Nun kommt mit der AKI-Richtlinie ein weiteres schier unlösbares Problem auf die Familien zu. Sie müssen (beatmungsentwöhnungs-)potenzialerhebende und verordnende Ärzte finden, damit die eh oft nur lückenhafte pflegerische Versorgung sichergestellt ist. Hierfür gibt es strenge Auflagen in der Qualifikation der Ärzte, wodurch z. B. in SPZ ein neues Problem generiert wird – und das nach jahrelanger guter Begleitung der Kinder. Denn die langjährig mühsam entwickelten ärztlichen Netzwerke halten dem neuen Reglement oft nicht mehr stand und müssen neu aufgebaut werden.

Niemand, der nicht persönlich betroffen ist, kann nachvollziehen, was diese Familien aushalten müssen. Somit sollten wir für die Schwächsten unserer Gesellschaft lieber Versorgungsangebote schaffen, als sie und ihre Familien diesem Dauerstress auszusetzen.“

Unabhängige Patientenberatung UPD wird „geopfert“

Die hitzige Debatte um das Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes mit sofortiger „Schützenhilfe“ durch verschiedene Krankenkassen, ist nur ein Beispiel. Die vorgeschlagene zynische Idee der Rückkehr zu Ausschreibungen ohne Blick auf Qualität ist hoffentlich kein Präjudiz für weitere Einschnitte für Patienten. Schließlich hat das Bundesministerium für Gesundheit gerade erst dem GKV-Spitzenverband zugestanden, dass er in Zukunft die Finanzen, den Vorstand, die Themen und Zielgruppen der Beratung, die Qualifikation der Berater und die wissenschaftliche Begleitung der UPD bestimmen kann.

Damit liefert Minister Karl Lauterbach die UPD jedoch vollständig den Krankenkassen aus. Ausgerechnet der Teil der Selbstverwaltung, der seit mehr als 15 Jahren am häufigsten Anlass zur Kritik der Patienten bietet, soll nun das absolute Sagen haben.

Die maßgeblichen Patientenorganisationen erklärten daher einhellig, dass sie nicht an einer UPD mitwirken werden, die so vollständig unter der Regie des GKV-SV steht, wie es derzeit aussieht. Sie sind auch weiterhin bereit, eine unabhängige Beratungsarbeit auf allen Ebenen maßgeblich mitzugestalten und eine öffentlich begleitete transparente Qualitätsentwicklung im Sinne der Ratsuchenden zu gewährleisten. Dazu braucht es aber den politischen Mut, ein solches System unabhängig von Kostenträgern, Leistungserbringern und Industrie zu organisieren und zu finanzieren. Der GKV-SV ist hier offensichtlich nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

All’ diese Entwicklungen zeigen, dass es richtig und wichtig war, vor 23 Jahren rehaKind zu gründen. In einer demokratischen Gesellschaft müssen die Stimmen der Patienten und derjenigen, die über die Expertise in Technik, Therapie und Medizin verfügen, gehört werden. 

rehaKind hat heute 180 Fördermitglieder, mehr als die Hälfte davon sind Fachhandelsunternehmen und Gemeinschaften, etwa 30 Hersteller, verschiedene andere Berufsgruppen, Kliniken und Einrichtungen und zahlreiche Vereine aus der Selbsthilfe.

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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