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7. Mai 2018
Redaktion
Cheftagung Sanitätshaus Aktuell

Die Hilfsmittelbranche im digitalen Wandel

Die Cheftagung von Sanitätshaus Aktuell am 7. März in Hamburg stand unter dem Schwerpunkt Digitalisierung. „Den digitalen Wandel gestalten“, so das Motto eines Dossiers vom Bundeswirtschaftsministerium, könnte auch als Slogan für die Mitglieder der Sanitätshaus-Gruppe dienen, meinte Vorstandschef Ben Bake.
Cheftagung,
Foto: Ben Bake
Ben Bake stellte die Services der Gruppe für analoges und digitales Marketing vor

Die Digitalisierung müsse einen Nutzen bringen, Effektivität und Effizienz steigern.

Er stellte diverse Angebote der Gruppe für die Mitglieder vor. Zur digitalen Kundenansprache zählten interaktives Schaufenster, TV im Laden, eine LED-Video­wand sowie eine „Touch-Stele“ – Motto: „Bewegte Bilder bringen Aufmerksamkeit“.

Eigene Angebote könnten mit einem digitalen Kundenstopper sowie einem Webkiosk im Ladengeschäft dargestellt werden. Internet-Shops seien höchst preissensibel. „Hier müssen wir uns bewegen und gleichzeitig die Gründe für unsere höheren Preise und den Mehrwert unserer Leistungen vermitteln.“ Denkbar sei auch eine digitale Imagebroschüre übers Unternehmen. Hier unter­stütze Sani Aktuell mittels Entwicklungsangeboten, einem Pool von Lieferantenfilmen und Filmen über die Branche. Und Ladenbauanbieter reagieren auf den Trend und offerieren entsprechende Regalkonzepte.

Digitale Konzepte regelmäßig updaten

Digitale Konzepte müssten allerdings auch gepflegt und regelmäßig aktualisiert werden. Hier gebe Sani Aktuell Hilfestellungen wie einen Homepage-Check oder das Einrichten des kostenlosen Dienstes „Google my business“, der neben Informationen zu Öffnungszeiten auch einen direkten Link zur eigenen Homepage, Routenplaner mit Google Maps und die direkte telefonische Kontaktaufnahme übers Smartphone anbie­te. Ergänzend verwies Bake auf Services wie Flyer, Kataloge, Werbemittel, Streuartikel, Fahnen, Bekleidung usw., „denn nicht alles ist digital, wir brauchen einen guten Mix von digitaler und analoger Welt“.

Digitalprojekte: no Risk, no Fun

Aufsichtsratschef Boris Pichler räumte ein, dass man viele Digitalisierungsprojekte anstoßen müsse, selbst wenn man jetzt noch nicht wisse, welches Konzept jeweils erfolgreich sein und sich durchsetzen werde oder in einer Sackgasse enden könnte. Wichtig sei ein stärkerer digitaler Datenaustausch zwischen Zentrale und Unternehmen.

Die Betriebe sollten zudem für die Kunden digitale Kundenzugänge schaffen, sich aktiv beteiligen und nicht nur an die Zentrale delegieren. Die Veränderung hin zu digitalen Prozessen müsse man teilweise auch „erzwingen“. Sani Aktuell habe sich zudem seit März mit dem neuen Vorstandmitglied Michael Haas auch in der Führungsebene verstärkt, der sich 1. a. um IT, Digitalisierung und Finan­zen kümmere.

Langer, nervenaufreibender Weg zur Umsetzung

Dass die Digitalisierung nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirken muss, verdeutlichte Prokurist Dietmar Zimmer. Dabei erweise sich die Etablierung digitaler Prozesse als sehr langwierig, wie er anhand der Entwicklungen bei Sanitätshaus Aktuell seit 2009 darstellte.

Doch inzwischen könne man auch merkantile Erfolge vorweisen, denn die Einsparungen in den Verwaltungsprozessen der Zentrale summierten sich gegen­über 2009 nun auf mehr als eine halbe Million Euro pro Jahr. Unter anderem konnten die Portokosten um 80 Prozent, die Ausgaben für Büromaterial um 60 Prozent und die operativen Personalkosten in diesem Bereich um über 40 Pro­zent reduziert werden. Die prozentualen Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz seien von 10 auf unter 6 Prozent reduziert worden. Während im Standardgeschäft Stellen reduziert wurden, wurde die EDV-Abteilung erweitert.

Foto: privat
Boris Pichler ermutigte, in Sachen Digitalprojekte auch Risiken einzugehen

1,8 Mio. Artikeldaten

Als Meilensteine nannte Zimmer u. a., dass seit 2012 nach drei Jahren Überzeugungsarbeit alle 116 Lieferanten EDI-In praktizieren, davon inzwischen 14 ohne externen Dienstleister. Mittlerweile stünden 1,8 Mio. Artikelstammdaten aller Lie­feranten zum Transfer bereit. Davon entfallen 788.000 auf das Sani Team (u. a. auf­grund zahlreicher Kompressionsstrumpf­varianten), 601.000 auf Ortho Team, 313.000 auf Reha Team und 145.000 auf Care Team.

Laut Zimmer decken sechs Branchensoftware-Anbieter etwa 95 Prozent der Mitgliedsbetriebe ab. Über Acriba, Opta Data und TopM könnten die Artikelstammdaten bereits transferiert werden, bei SIC sowie Optica/SaniConcept laufe der Testbetrieb, bei mmOrthosoft sei der Transfer nicht möglich.

Nach „drei Jahren zähem Kampf“ sei das interne Online-Bestellportal nun die Standardlösung, über die Betriebe aus ihrer Branchensoftware bei den Lieferan­ten bestellen könnten. Allerdings nutzten nur 89 von 244 möglichen Betrieben das Portal. Bei Care sind es mit 59 die meis­ten, 47 bei Sani, 37 bei Reha und nur 31 bei Ortho; bei letztgenannten liege es daran, dass die OT-Meister nicht so IT- affin seien. „Doch Bestellungen via Telefon bergen ein hohes Fehlerpotenzial.“

Bereits seit 2015 empfangen zudem alle Mitgliedsbetriebe EDI-Rechnungen via Invoice. Für die nächsten zwei Jahre sei 1. a. geplant, die Wareneingangsbuchung über die Branchensoftware abzuwickeln. Außerdem sollen Schnittstellen direkt in die Buchhaltung überführt werden. Zusammen mit fünf Betrieben hat die Zentrale zudem über drei Jahre hinweg den Standardkontenrahmen mit 40 Erlös- und 41 Wareneingangskonten defi­niert.

Fokus auf jeweils eine Software-Lösung

Aufhorchen lassen die mittel- und langfristigen Ziele, die Dietmar Zimmer den Firmenchefs vorstellte. Dazu zählt die einheitliche Verwendung von Standardsoftware in allen Betrieben für Buchhaltung, Branchensoftware und weiteren Datenverarbeitungsanwendungen.

Außer­dem gebe es immer noch viele Betriebe ohne Warenwirtschaft, was sich mit einem professionellen Geschäft nicht vertrage. Zimmer: „Professionelles Geschäft braucht wenig Unterstützung von Steuerberatern und externen Rezeptabrechnern.“ Dafür fielen in den Betrieben jeweils locker fünfstellige Summen an.

Digitalisierung hat ihren Preis

Dass es die Digitalisierung nicht umsonst gibt, verdeutlichte Thomas Piel, Geschäfts­führer des mit Sani Aktuell kooperierenden Reha-Service-Rings RSR. Schließlich müssten die Sanitätshäuser Gebühren für die Nutzung der einschlägigen Übermittlungsdienste für den elektronischen Kos­tenvoranschlag zahlen. Und diese würden von einzelnen Kassen sogar vorgeschrieben, wodurch sie dank eKV Ver­waltungs- und Personalkosten einsparen. Hinzu kämen für die Leistungserbringer die Kosten für die Dienste von Abrechnungszentren sowie für die Branchensoftware (hier gebe es 26 namhafte Anbieter). Allerdings nutze noch immer rund ein Viertel der Betriebe „ein selbstgestricktes Modell“.

Foto: privat
Finanzvorstand Michael Haas ist auch für denBereich Digitales zuständig

Das HHVG und neue Vorgaben der Krankenkassen beförderten zudem die Digitalisierung in der Branche. Piel nannte Qualitätsbewertung, Vertrags­controlling, Vernetzung der Vertragsbeteiligten (Logis­tiker, Leistungserbringer, Kliniken) oder die Weiterentwicklung vom elektronischen Kostenvoranschlage (eKV) hin zur elektronischen Rechnung (eRG), was über den Datenträgeraustausch papierloses Arbeiten befördere. Er verwies auf den DTA plus der AOK Plus, was im Endeffekt Abrechnungszentren überflüssig machen könnte.

Krankenkassen verlangten in Verträ­-gen zudem die Möglichkeit einer Video-Beratung via Chat oder Ähnlichem sowie „saubere Daten“ der Mitglieder der Leis­tungserbringergruppen, um im Internet ein Partnersuchsystem für Versicherte anbieten zu können. Die Kassen erwarteten hohe Datenqualität von den Leis­tungserbringern, damit diese überhaupt Aufträge erhielten.

Die Branche müsse sich zudem auf das elektronische Rezept einstellen, das Abläufe beschleunigen könnte. So entfallen der Papierausdruck und die händische Unterschrift. Hilfsmittel könnten direkt beim Verschreibungsprozess bestellt wer­den. Durch direkte elektronische Beleg­einreichung ließen sich Abrechnungsprozesse mit den Krankenkassen beschleunigen.

Das nach § 39 Abs. 1 a Satz 9 im SGB V geregelte Entlassmanagement durch die Krankenhäuser könnte zudem auch die Anbieter von Krankenhausinformationssystemen (z. B. Agfa, Cerner, T Health­-care Solutions, Nexus, Meierhofer, Solu­tions, CGM) in Sachen Hilfsmittel auf den Plan rufen. Denn Krankenhäuser bauten ab einer gewissen Größe auch eige­ne Hilfsmittelbereiche auf und wollten immer mehr „alles aus einer Hand“.

Die sinkende Anzahl von gesetzlichen Krankenkassen mache es dem RSR in den Vertragsverhandlungen leichter, weil man deutlich weniger Ansprechpartner habe als in früheren Jahren. Dabei machten 25 Prozent der rund 110 Kassen etwa drei Viertel des Marktes aus. Und von den 50 privaten Krankenversicherungen seien 18 relevant.

Der RSR-Geschäftsführer forderte die Sanitätshausinhaber auch auf, Social- Media-Kanäle stärker in den Vertrieb einzubauen. So könnte man YouTube für Beratung und Information nutzen oder im Online-Shopping über Amazon Express auch Hilfsmittel binnen weniger Stunden liefern. Piel erwartet zudem eine steigende Zahl von Online-Bestellungen von GKV-, Privatmarkt- und Hilfsmitteln mit Aufzahlungen durch Patienten und Angehörige.

 

MTD Medizintechnischer Dialog 04 / 2018

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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