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23. Juli 2021
Redaktion
Digitalisierung im Sanitätshausalltag

Agile Unternehmensführung gefragt

Axel Erhardt

In einer sich immer schneller drehenden Welt, in der insbesondere die Digitalisierung Veränderungen nicht nur befeuert, sondern geradezu notwendig macht, kommen Unternehmen und Mitarbeiter oft an ihre Grenzen. Für Silo-Denken, Beharren auf Altem und persönliche Machtspielchen ist da kein Platz mehr, denn notwendige Veränderungen erfordern Flexibilität im Denken und Handeln.
Foto: Free-Photos/Pixabay

Die digitale Transformation ist bereits in vollem Gange und verändert momentan nicht nur auf rasante Weise z. B. das bisherige Gesundheitssystem, sondern sie verändert auch gleichzeitig die bisherigen Organisationsstrukturen der Leistungserbringer in diesem Marktsegment. Diese Veränderungsprozesse machen es notwendig, dass sich z. B. das Management in den einzelnen Sanitätshausunternehmen flexibel und agil den neuen Herausforderungen und veränderten Rahmenbedingungen stellen und anpassen muss. Eine hohe Agilität in der konkreten strategischen und operativen Ausrichtung des Unternehmens sowie die Fähigkeit, auf gesellschaft­liche Unsicherheiten (wie z. B. die Corona-Krise), Ambivalenzen oder Komplexitäten zu reagieren, sollten somit zukünftig im Fokus der unter­nehmerischen Betrachtungsweisen stehen.

Agile Unternehmensführung ist ein starker Kulturwandel

Agilität ist somit die grundsätzliche Fähig­keit von Unternehmen, sich veränderten Rahmenbedingungen und neuen Marktsituationen zu stellen. Erfolgreiche Agilität lässt sich an realisierten Veränderungsprozessen und deren Ergebnissen festmachen. Dabei sind Anpassungs­fähigkeit, Schnelligkeit, Flexibilität, Dynamik, Vernetzung, Selbstmanagement und interpersonelles Vertrauen diejenigen Parameter und Werkzeuge, die Unternehmen agiler und erfolgreich machen.

Dazu kommen die Umsetzungen von gemeinsamen agilen Werten – wie beispielsweise eine lebende Kommunika­ti­onskultur, autonomes Handeln, schonungslose Offenheit, nachhaltige Com­mit­ment-Strategien, nachvollziehbare Trans­parenz, geradlinige Authentizität, kons­truktive Kritikfähigkeit, eine Portion Mut und Risiko.

Dem stehen sogenannte Pain Points (Stolpersteine) gegenüber, die unterschiedliche Ursachen haben können, wie z. B. grundsätzlich systemimmanente Beharrungskräfte, endlose interne Genehmigungsrituale, manifestierte Rollen und Verhaltensweisen, persönliche Machtspiele, differente individuelle Wertesysteme, unterschiedliche Motivationen, betonierte Prozessabläufe oder klassisches Silo-Denken.

Einblicke in die Umsetzung

Ein Unternehmen agiler zu machen ist kein Thema für heute und morgen, sondern bedarf einer kontinuierlichen, nachhaltigen Entwicklung und eines stringenten Ausdauer-Prozesses. Wenn das Ziel der Agilität sein soll, dass sich das Verhalten aller Beteiligten im Unternehmen verändert oder immer wieder neu angepasst wird, dann reicht es nicht, beispielsweise Meetings plötzlich im Stehen durchzuführen oder Mitarbeiter spontan ihre funktionellen Aufgaben auf bunten Post-it-Zetteln an die Metaplan-Wand kleben zu lassen.

Vielmehr geht es dabei um einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel und einen kulturellen Wandel, der zu einem mentalen, kontinuierlichen und veränderten Einstellungsprozess bei jedem einzelnen Mitarbeiter im Unternehmen führen muss. Die betroffenen Führungskräfte und deren Mitarbeiter müssen somit im Rahmen eines Change-Management-Prozes­ses (z. B. Fixierung von neuen, agilen Werteparametern, veränderte Unterneh­mens-, Organisations-, Prozess- und Kommunikationskultur, Identifizierungsgrad etc.) kontaktiert, integriert und bezüglich der Umsetzungsstrategien mitgenommen werden, damit aus dem bisherigen betroffenen Mitarbeiter ein partizipativer Mitarbeiter wird.

Agile Teams

Damit die interne Kooperation funktioniert, werden bestimmte Rollen und die daraus entstehenden agilen Funktionen festgelegt. Hinsichtlich einer agilen Unternehmensführung bedeutet dies, dass sich die Projektteams täglich kurz zusammensetzen. Dabei sollten aus den einzelnen Abteilungen nach Möglichkeit Experten als gemischte Teams zusammengesetzt sein. Die etablierten Teams sollen weitgehend autonom arbeiten. Nur fundamentale Grundsatzstrategien werden mit der nächsthöheren Managementebene diskutiert und abgestimmt.

Damit die interne Kooperation orga­ni­satorisch funktioniert, werden bestimmte Rollen und die daraus entstehenden agilen Funktionen abgesprochen. Zuerst werden die entsprechenden fachlichen Kompetenzen und Anforderungen der Mitarbeiter durch den führenden Manager festgelegt. Der sogenannte Scrum-Master („Zere­monienmeister“) untergliedert anschließend die jeweiligen Arbeitsprozesse in Unter- oder Teilziele. Die einzelnen Zielvereinbarungen werden dann in maximal vierwöchigen Zeitfenstern („Sprints“) bearbeitet und umgesetzt, die Fortschritte und Ergebnisse täglich besprochen („Stand-up-Meetings“).

Am Ende des vereinbarten Sprints prüft der führende Manager im Rahmen eines Review-Meetings die jeweiligen Ergebnisse auf Praktikabilität bzw. darauf, ob das Team noch den Kurs hält. Dann wiederholt sich der vorangegangene Ablauf aufs Neue. In agilen Teams haben somit die einzelnen Teammitglieder die Möglichkeit, in eigener Verantwortung schnell, kreativ, kurzfristig, autonom, flexibel und zeitnah sich situativ veränderten Rahmenbe­dingungen anzupassen bzw. auf konkrete Aufgabenstellungen mit einer hohen Komplexität zu reagieren.

Allerdings ist es eher als kontrapro­duktiv zu betrachten, die sogenannten operativen Teams, die grundsätzlich das allgemeine Tagesgeschäft managen müssen, mit modernen agilen Arbeitsmethoden auszustatten. Hier ist es oberste Priorität, dass das Tagesgeschäft einfach zu funktionieren hat. Es kann nach hinten losgehen, wenn man versucht, einem bisher bestens funktionierenden und etablierten Mitarbeiter-Team Agilität zu rezep­tieren. Das schließt aber nicht aus, dass man situativ trotzdem agile Elemente in die einzelnen Arbeitsprozesse implementieren kann, um daraus eventuell weitere Optimierungsvorgänge zu generieren.

Fehler als Chance nutzen

Agile Unternehmen zeichnen sich u. a. auch dadurch aus, dass sie im Tagesgeschäft eine sehr offene, innovative Fehlerkultur vorleben und stringent umsetzen. Hier werden Fehler grundsätzlich nicht länger als ein Scheitern verifiziert, sondern eher als eine Chance bzw. eine Bereicherung für die Unternehmenskultur betrachtet. Damit ist aber nicht unbedingt gemeint, Fehler immer grundsätzlich als etwas Positives zu akzeptieren.

Zielsetzung ist es eher, aufgetretene Fehler im Rahmen von internen oder externen Entwicklungsabläufen als reale Tatbestände anzusehen, die immer dann verursacht werden können, wenn die Grenzen des Denk- und Umsetzbaren neu justiert werden müssen. So finden Entscheidungsprozesse in agilen Unternehmen nicht top-down statt, sondern sie werden durch die sehr stark ausgeprägte und vorgegebene auto­nome Selbstorganisation der agilen Teams in eigener Verantwortung zusammen im Team entschieden.

Dieser Prozess setzt somit schon einen sanktionsfreien Umgang mit Fehlern voraus. Unternehmen, die Fehlerverursachungen nicht nur als Hindernis oder als ein negatives Erscheinungsbild des menschlichen Handelns bewerten, sondern diese eher als Möglichkeit betrachten, daraus resultierende Ergebnisse und Potenziale für eine veränderte Unternehmenskultur zu optimieren und zu nutzen, werden dadurch letztendlich weitere Marktvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern generieren können.

Die agile Führungskraft

Bei der Umsetzung einer erfolgreichen Implementierung agiler Arbeitsmethoden und Rahmenbedingungen nimmt das Management eine entsprechende Schlüsselposition ein. In einer immer komplexeren und transformierten Welt stoßen traditionelle Managementsysteme und Prinzipien langsam an ihre Grenzen. Immer offensichtlicher wird, dass ein Verständnis von Führung, das Vorgaben und Kontrolle in den Fokus des Managements stellt, auf Dauer nicht mehr funktionieren wird – gerade in einer Ära, in der es primär um komplexe Aufgaben­lösungen, kreativen Wissenstransfer und flexibles Agieren und Handeln auf situative Marktveränderungen geht.

Agiles Führen ist letztendlich eine dynamische mentale Haltung, die Veränderungen als einen Dauerzustand begreifen muss. Agile Führungsstrukturen werden deshalb immer mehr und mehr das traditionelle Führen, das durch Macht, Kontrolle und Einfluss gekennzeichnet ist, ablösen. Flache Hierarchien ersetzen im agilen Management die traditionellen Hierarchieebenen, das manifestierte Silo-Denken und die bisherigen daraus resultierenden Abhängigkeiten. Dabei legi­ti­miert allein die fachliche Kompetenz noch lange nicht den Anspruch, Führung zu exekutieren.

Teamgedanke statt Egoismus

Agile Führungskräfte müssen begreifen, dass Führung als Rollenfunktion und nicht als Status oder Machtposition zu verstehen ist. Somit ist das eigene Team in den Fokus zu stellen und nicht das eigene Ego. Agiles Führen verlangt von den heutigen Führungskräften deshalb auch, sich permanent infrage zu stellen, Rituale und Gewohnheiten aufzugeben und sich neuen digitalen und technologischen Herausforderungen zu stellen.

Agile Führungskräfte werden auch lernen müssen, ihren Mitarbeitern wesent­lich mehr Vertrauen zu schenken, sie autonomer und großzügiger arbeiten und experimentieren zu lassen, dabei für die Mannschaft weniger zu planen, sie dafür aber effizienter und intensiver zu coachen bzw. weniger zu kontrollieren. Auch Rollenflexibilität ist dabei gefragt: heute der kreative Visionär, morgen der entschiedene und zielorientierte Performance-Manager. Um grundsätzlich fundierte unternehmerische Entscheidungen treffen zu können, müssen agile Führungskräfte nicht nur über hervorragende soziale Kompetenzen verfügen, sondern auch in der Lage sein, jederzeit auf das allgemeine Know-how der Unternehmensorganisation und dessen Strukturen zugreifen können.

Wer allerdings den agilen Wandel in seinem Unternehmen startet, der muss ihn dann in den einzelnen Etappen auch in aller Konsequenz nach vorne bringen. Hier sind neue und angepasste Coaching-Konzepte notwendig, um das Führungspersonal auf die konkreten Change-Manage­ment-Prozesse vorzubereiten und zu trainieren. Deshalb gilt hier für das Management ganz klar die Prämisse, Treiber und nicht Getriebener zu sein.

Der Ausblick

Der digitale Wandel wird weiterhin mit unaufhaltsamem Tempo sowohl Arbeits­organisation als auch -abläufe im Sani­täts­haus signifikant verändern. Wo bisher noch in der Sanitätshausorganisation durch Kontrollgremien oft analog kommuniziert und verwaltet wird, werden sich zukünftig immer mehr und mehr interne bzw. externe digitalisierte, vernetzte und projektorientierte Unternehmensstrukturen bilden.

Agile Arbeitsmethoden werden somit immer stärker zum State of the Art. Dazu kommen die neuen Anforderungen an das agile Leadership: optimale Flexibilität, effiziente Vernetzung, nachhaltige Partizipation, Übertragung von Verant­wortung, höhere Fehlertoleranz, bedingungsloses Vertrauen und Offenheit. Diese Werte müssen durch agile Führung gefördert, vermittelt, aber auch eingefordert werden. Das alles wird die reale Arbeitswelt nicht von heute auf morgen abschaffen, den Umgang mit ihr aber auf alle Fälle neu ordnen und priorisieren.

Zum Autor

Axel Ehrhardt nennt sich selbst „der Spezialist für alle Fragen im Gesundheitswesen“. Er verfügt über langjährige Erfahrungen im Management- und Marketingbereich der Pharmaindustrie, der Medizintechnik- sowie der Apotheken-, Reha- und OT-Branche. Im Zentrum seiner Beratungstätigkeit stehen Akquisition und Verkaufsmanagement am POS, Aufbau von Versorgungs- und Netzwerkstrategien, Außen- und Innendienst-Coaching, Erarbeitung und Durchführung von Verkaufskonzepten und Marketingstrategien, Umsetzung von Manage­menttechniken, Human-Ressource-Programme sowie Inbound- und Out­bound-Telefonmarketing. Zusätzlich arbeitet Ehrhardt als Trainer im Inhouse-Bereich.
Weitere Informationen unter: www.ae-managementberatung.de, E-Mail: ae-beratung@t-online.de

Foto: privat
Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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