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9. August 2018
Redaktion
Schlafmedizin/Patientenversorgung

Sind die Kassen die Totengräber der Schlafapnoe-Therapie?

von Werner Waldmann: (Vorsitzender Bundesverband Schlafapnoe und Schlafstörungen Deutschland e.V./BSD)
Kassen,
Foto: Andrey Kuzmin/Fotolia

Viele Mediziner wissen es mittlerweile schon, auch manche Bürger und die Publikumsmedien sowieso: Ein erholsamer Schlaf garantiert Wohlbefinden und Gesundheit.Schlafstörungen sind Feinde unserer Leistungsfähigkeit – wie beispielsweise die obstruktive Schlafapnoe, das nächtliche Schnarchen mit den gefährlichen Atempausen. Was geht nicht alles auf das Konto dieser Volkskrankheit: Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt, Depressionen, Diabetes, Alzheimer. Doch eine Schlafapnoe lässt sich behandeln.

Der therapeutische Goldstandard ist immer noch das Atemtherapiegerät mit Maske, salopp CPAP-Therapie (Continuous Positive Airway Pressure) genannt. Diagnostiziert wird die Krankheit im Schlaflabor. Hunderttausende sind in Deutschland inzwischen als Patienten identifiziert, doch Millionen wissen noch nichts von der Gefahr, die es für sie bedeutet, wenn sie weiterhin schnarchen und dabei der Atem stockt.

Die Krankenkassen haben inzwischen begriffen, dass Schlafapnoe alles andere als ein Nischenphänomen ist. Sie fürchten zu Recht einen Tsunami an Schlafapnoe-Betroffenen in nächster Zukunft. Es graut den Kassenmanagern vor den damit verbundenen Kosten. Jedenfalls haben sie sich schon längst etwas einfallen lassen, um die Kosten für Diagnostik und Therapie zu reduzieren.

Die Diagnostiknächte im Schlaflabor werden raffinierterweise als ambulante Leistung honoriert, obwohl der Patient meist in einer Klinik schläft, die auch eine Intensivstation vorhält für den Fall, dass etwas passiert. Eigentlich ist die Schlaflabordiagnostik eine stationäre Leistung.

Den Schlafapnoe-Patienten verweigern die Kassen nun keineswegs Therapiegerät plus Maske, sie drücken nur nachhaltig die Kosten für die Versorgung mit dem Equipment, und zwar mittels ausgekochter Strategien: Ausschreibung und Open-House-Vertrag nennen sich diese beliebten Folterinstrumente der Krankenkassen. Bevor die Kassen diese Methoden für sich entdeckten, verhandelten sie mit den Leistungserbringern, was es denn kosten dürfe, die Betroffenen zwar ausreichend, jedoch wirtschaft­lich zu versorgen. Ganz nach der doppelsinnigen Diktion des Sozialgesetzbuches.

Foto: privat
Werner Waldmann

Schlafapnoe per se eine preiswerte Therapie

Diagnostik und Therapie sind zwei paar Stiefel. Wenn die Schlaflaborärzte aus den Kurven der nächtlichen Untersuchung herauslesen, dass der Patient unter einer obstruktiven Schlafapnoe leidet, schlägt die Stunde des Homecare-Versorgers. Das ist in aller Regel ein Sanitäts­unter­nehmen, meistens ein Mittelständler, der sich allerdings mit zwei großen Versorgerunternehmen messen muss. Das eine Unternehmen hat einen internationalen Konzern im Rücken, das andere operiert von einer heimischen Basis aus, kann sich aber getrost mit dem Konzern messen.

Die Krankenkassen bieten die Geräte und bezahlen dafür eine jährliche Versorgungspauschale, sozusagen einen Kom­plettpreis für Therapiegerät, Schlauch und Maske. Dazu gehören auch Reparaturen und die Lieferung von Gebrauchsartikeln wie beispielsweise Filter. Auch die Masken halten nicht ewig und müssen womöglich nach einem halben Jahr ersetzt werden.

Und schließlich deckt die Einmalzahlung der Kasse pro Jahr auch den Service des Homecare-Versorgers ab. Nicht jeder Patient, insbesondere wenn er schon ein bisschen älter ist, kommt mit Gerät und Maske zurecht. Da braucht es Beratung – und die ist teuer. Um das leisten zu können, muss das Unternehmen Filialen unter­halten oder gar Mitarbeiter zu den Patienten schicken.

Einen Schlafapnoe-Patienten zu therapieren, kostet nicht die Welt. Pro Tag sind das etwa 0,60 Euro, hochgerechnet auf ein Jahr rund 200 Euro. Im Grunde eine verdammt preiswerte Therapie, wenn man an die Kosten für andere Krankheiten denkt. Und wenn man berücksichtigt, welche Folgeerkrankungen damit nachweislich zu verhindern sind: lauter unschöne und in der Behandlung ziemlich teure Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen, Demenz, Diabetes.

Der Patient wird nun mit dem Therapiegerät versorgt, das ihm das Schlaflabor verordnet hat. Das hört sich logisch an, ist inzwischen aber ein komplizierter Prozess. Die Krankenkasse bestimmt näm­lich, welches Gerät und welche Maske der Betroffene erhält. Der Arzt kann noch so viel auf die Verordnung schreiben – maßgeblich ist, welchen Inhalt der Vertrag hat, den die Kasse des Betroffenen mit der versorgenden Firma geschlossen hat.

Foto: privat
Auch das BVA stellt sich gegen das Vertragsgebaren einzelner Ersatzkassen beim Thema Schlafapnoe. Gleichwohl gibt BVA-Referats-Leite rin Anke Domscheit zu, dass die rechtlichen Möglichkeiten beschränkt sind

Ausschreibungen zulasten der Patienten

Die Krankenkassen nutzen Ausschreibungen, um möglichst günstige Angebote von den Unternehmen zu bekommen, die die Patienten versorgen. Wer das niedrigste Angebot abgibt, gewinnt das Los, also den Versorgungsauftrag. Unter Umständen gewinnt nur ein einziges Unternehmen die Versorgung eines ganzen Bundeslandes. Alle anderen mitbietenden Firmen sind draußen.

Der Patient spürt die Folgen als Erster: Er verliert seinen bisherigen Versorger und wird nun von einer ihm fremden Firma betreut. Eine Wahl hat er nicht. Er muss sich von dem Losgewinner versorgen lassen. Wenn er Pech hat, bedeutet dies, dass er dem alten Versorger sein bisheriges Therapiegerät zurückgeben muss und sein künftiges Gerät vom neuen Versorger erhält. Er bekommt dann eben das vom Sozialgesetzbuch vorgeschriebene medizinisch Notwendige.

In den meisten Fällen handelt es sich um eine sehr einfache Ausrüstung, die vielleicht vor fünf oder zehn Jahren en vogue war. Diesem Diktat kann sich der Patient nur entziehen, indem er die Kasse wechselt. Das steht ihm frei: Er kann sich für eine andere Krankenkasse entscheiden, die ihm das Gerät seiner Wahl zur Verfügung stellt.

Open-House-Verträge um kein Haar besser

Eine Krankenkasse hat sich aber noch eine drastischere Einsparmethode ein­fallen lassen, umschrieben mit dem Terminus Open-House-Verträge. Hier bestimmt die Krankenkasse die gesamten Vertragsinhalte. Wer die Leistung durchführen will, kann diesem Vertrag nur noch beitreten. Zu verhandeln gibt es da nichts mehr. Der Leistungserbringer unter­wirft sich dem ökonomischen Diktat der Krankenkasse, wenn er den Auftrag erhalten will.

Der Versicherte hat jedoch die Wahlfreiheit: Er kann zwischen allen Leis­tungsanbietern wählen, die einem solchen Vertrag beigetreten sind. Diese Wahl­freiheit garantiert dem Patienten jedoch keinesfalls, dass er Gerät und Maske seiner Wahl erhält. Der Preis der Versorgung wird auch bei diesem Verfahren von der Krankenkasse festgelegt. Im Grunde stehen die Leistungserbringer unter identischem ökonomischem Zwang, und keiner kann es sich leisten, die Wünsche des Patienten zu erfüllen.

Dass sich die Krankenkasse (ehrlicherweise muss man sagen, dass nicht alle Kassen ins gleiche Horn stoßen) dieser geldsparenden Strategien bedient, ist der politische Wille des Gesetzgebers, um der gesetzlichen Krankenversicherung eine mögliche Kostenlawine zu ersparen.

Den Versorgungsunternehmen gefällt diese Entwicklung ganz und gar nicht. Zurzeit gehen mehrere Ausschreibungen in die zweite Runde. Da gibt es dann schon richtig große Marktumwälzungen. Wenn ein Ausschreibungsgewinner sein Los in der zweiten Runde nicht mehr bekommt, steht er mit 10.000 bis 20.000 CPAP-Geräten da und muss dann vielleicht auf die nächste Ausschreibung warten, um diese Geräte wieder unterzubringen. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist der Markt dann auf einmal weg, und den kriegen sie auch nicht wieder.

„Wenn sich an dieser Entwicklung, auch am Vergütungsniveau, nichts ändert“, so der Inhaber des Vital-Zentrums Glotz, Joachim Glotz, „dann wird der Markt tatsächlich über kurz oder lang kaputt­gemacht – oder er wird sich so umstrukturieren, dass die Patienten (ähn­lich wie bei der Brille) den Großteil der Leis­tung selber bezahlen. Doch wir reden im Bereich der Schlafapnoe-Therapie ja nicht von einer Therapiedauer von einem Jahr, sondern von 20, 30 oder noch mehr Jahren. Da müsste ich mir als Kostenträger doch eigentlich eine andere Strategie überlegen als bei jemandem, der einen Kompressionsstrumpf oder eine Bandage benötigt: Die braucht er halt einmal, und dann ist es gut. Aber hier geht es ja um eine ganz andere Erkrankung und auch um die damit einhergehenden Komorbiditäten. Da kann ich als Kostenträger doch nicht sagen: Das ist mir 60 Euro im Jahr wert. Das ist ein völlig falscher Ansatz.“

Foto: Eberhard/Fotolia
Schlafapnoe-Patienten haben ein Recht auf eine auf ihre Belange perfekt abgestimmte Versorgung mit Geräten und Masken. Die aktuelle Vertragspolitik vieler Kassen wird dem nicht mehr gerecht.

Gegenstrategien Fehlanzeige

Weshalb gewöhnt die Industrie den Krankenkassen ein solches ruinöses Marktgebaren nicht ab? Kein Unternehmen muss auf eine Ausschreibung bieten, von der man weiß, dass sie die ganze Branche irgendwann – vielleicht sogar ziemlich bald – ins Unglück stürzen wird.

Wenn alle Versorgerfirmen die Ausschreibungen ignorierten, sähen die Kassen alt aus. Sie stünden dann sozusagen einem Kartell der Vernünftigen gegen­über. Nur ist sich kein Unternehmen sicher, ob die Mitbewerber eben nicht doch auf die Ausschreibung bieten.

Verzichtet man auf Patienten, die durch eine Ausschreibung möglicherweise hinzugewonnen werden könnten, gefährdet dies das bisherige umfassende Serviceangebot. Weniger Patienten zu betreuen, heißt, dass das Unternehmen Mitarbeiter entlassen muss. Das wiederum hat weitere Folgen: Das Versorgungsniveau für die anderen Patienten ist nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Die Alternative ist also, mitzubieten, um eine bestimmte Anzahl von Patienten zu behalten. Das läuft nach dem Prinzip „Alles oder nichts“. Bin ich mit meinem Unternehmen in einem Bundesland sehr stark vertreten, um meine Patienten gut versorgen zu können, dann muss ich mich leider auf die Ausschreibung einlassen – oder ich ziehe mich komplett zu­rück und steige aus. Wer verliert, ist raus aus dem Spiel. Für die Ausschreibungsverlierer ein Desaster.

Ausschreibungen setzen Marktteilnehmer unter Druck

Man muss etwas tun, um die Lose zu gewinnen. Also bietet man möglichst niedrige Preise an. Notfalls sogar richtige Schnäppchenpreise – auch wenn sich das kaum noch kalkulieren lässt. Vielleicht hat man auch von einer früheren Ausschreibung noch ein paar Tausend Geräte auf Halde, die bei einer Umversorgung zurückgenommen werden muss­ten. Und die sind abgeschrieben, also kann man ohne Verlust mit einem Tiefpreis in den Ring steigen.

Die Kassen freut’s, dass sie so pro Schnarchnase beispielsweise nur noch 63 Euro berappen müssen, pro Jahr und all inclusive. Für den Patienten sieht dieses Spiel dagegen düster aus. Für einen solchen Tiefpreis bietet der Homecare-Versorger – in Absprache mit der Kasse – nämlich nur noch ein eingeschränktes Geräte- und Maskenangebot. Der Vertrag mit der Kasse fordert freilich auch eine exquisite Betreuung des Patienten und im Notfall sofortiges Handeln. Der Losgewinner hofft aber insgeheim, dass die Betroffenen möglichst selten Hilfestellung brauchen, denn das würde die knappe Kalkulation völlig verhageln und ist mit dem erzielten Lospreis nicht zu vereinbaren. Es gab auch schon Firmen, die ihren Patienten das Gerät per Post zuschickten, ohne Einweisung durch einen Mitarbeiter.

Wer mit dem angebotenen Gerät nicht einverstanden ist, weil er vor der Umversorgung ein besseres hatte, bekommt das Wunschgerät natürlich – nur muss er zuzahlen, Jahr für Jahr. Mit der Maske wird’s problematisch. Es ist kein Geheimnis in der Branche, dass man mit z. B. fünf Masken des eingeschränkten Portfolios nicht jeden Betroffenen glücklich machen kann. Und gerade die Maske, die passen würde, muss der Patient selbst bezahlen bzw. draufzahlen.

Der unrühmliche Anfang

Die Techniker Krankenkasse hat als Erste damit angefangen, die Versorgung im Bereich der Atemtherapie auszuschreiben. Mit einer Ausschreibung diktiert man den Preis: Es wird sich immer ein Unternehmen finden, das zähneknirschend am untersten Level bietet und irgendwie hofft, trotz enormer Investitionen am Ende doch im Plus zu landen, selbst wenn es nur ein Marktzuwachs ist.

Die TK-Experten hatten sich nicht getäuscht: Eines der größten Versorgerunternehmen Deutschlands gewann 80 Prozent der Lose. Tausende Patienten wurden mit einem Schlag von ihren bisherigen Homecare-Versorgern – oft kleinen mittelständischen Unternehmen – zu dieser Firma umversorgt.

Der Losgewinner handelte sich freilich ordentlich Probleme ein. Plötzlich waren da von heute auf morgen Tausende von Patienten zu bedienen. Ein logistischer Albtraum, doch man schaffte das irgendwie.

Die Barmer greift an

Nun ein kühner Sprung in die Gegenwart, zur Ausschreibung der Barmer Ersatzkasse. Eher gelangweilt liest man das dicke Ausschreibungs-Dossier durch – und spitzt plötzlich die Ohren.

Losentscheidend ist der Preis, zu 90 Prozent. Wo bleibt da die Qualität? Sie wird zwar auch angesprochen, aber nur zu bescheidenen 10 Prozent! Ein gefundenes Fressen für Unternehmen, die da mitbieten wollen.

Wen kümmert’s später, wenn die Versorgung läuft? Mit dem Discounterpreis, der einem das Los beschert hat, wird man kalkulatorisch schon hinkommen, denn für eine qualitativ hochstehende Versorgung braucht man nicht mehr viel aufzuwenden: nur 10 Prozent. Patientenberatung käme teuer, aber wie will die Barmer das überprüfen? Wie kontrollieren, welche Qualität die Loswinner in ihre Patientenversorgung investieren?

Diesmal aber hat sich die Barmer verrechnet. Der ehemalige Ärztliche Direktor der Ruhrlandklinik, Prof. Helmut Tesch­ler, verfasste einen Brandbrief an Gesundheitsminister Gröhe. Gefahr sei im Verzug! Die Schlafmedizin werde an die Wand gefahren, Schlafapnoe-Patienten seien gefährdet.

Der Minister sah das ein, musste aber eingestehen, dass sein Ministerium gegen die Brachialausschreibung der Barmer machtlos war. Sicher, so Gröhe, die Barmer konterkariere das jüngst renovierte Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz, kurz HHVG, das die qualitative Anforderung an Produkte und Dienstleistungen garantieren solle. Dagegen vorzugehen, falle aber leider nicht in die Kompetenz des Ministeriums. Dies sei Sache der Aufsichtsbehörde, also des Bundesversicherungsamts.

Wir fragten Anfang des Jahres beim Präsidenten des BVA, Frank Plate, nach. Der antwortete stante pede: „Die von der Barmer Ersatzkasse vorgenommene Ausschreibung ist meines Erachtens nicht zweckmäßig im Sinne des § 127 Abs. 1 SGB V.“ Und: „Aktuell befinden wir uns im aufsichtsrechtlichen Verfahren mit der Kasse.“

Gleichzeitig relativierte Anke Domscheit, Referatsleiterin des BVA: „Wir haben einen Verpflichtungsbescheid gegen die Barmer erlassen, den die Kasse im Moment gerichtlich beklagt. Das Landessozialgericht in Brandenburg muss in diesen Tagen entscheiden, ob unser Sofortvollzug zur Aufhebung der Ausschreibung hält. Gleichzeitig muss das Hauptsacheverfahren eröffnet werden.“

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Aus Sicht von Joachim Glotz, Inhaber des Vital-Zentrums Glotz, handeln die Kassen mehr als kurzsichtig, wenn sie meinen, bei der Versorgung ihrer Versicherten mit Schlaftherapie-Geräten groß sparen zu können. Unterm Strich werde am Ende alles viel teurer

Ein langwieriges Klageverfahren sei zu erwarten, das sich an das einstweilige Rechtsschutzverfahren anschließe, so die Expertin. In der Regel, so Domscheit, ziehe sich ein solches Verfahren gut drei Jahre hin. Und es werde sich noch ein bundessozialgerichtliches Verfahren anschlie­ßen. Ja, man ahnt es schon: Insgesamt, so die BVA-Referatsleiterin, liefe das auf fünf Jahre hinaus.

Sollte das Landessozialgericht allerdings den Sofortvollzug des BVA bestätigen, muss sich die Barmer von ihrer Ausschreibung verabschieden. Domscheit be­zweifelt jedoch, ob das einstweilige Verfahren des BVA erfolgreich ist. Das passiere selten. Gegen den Bescheid einer Aufsichtsbehörde lässt sich ein Wider­spruch mit aufschiebender Wirkung einlegen. Nur in extrem seltenen Fällen sei es der Aufsichtsbehörde gestattet, einen Sofortvollzug zu erlassen. Und dies, obwohl das BVA von dem Qualitätsdefizit der Barmer-Ausschreibung überzeugt ist. Ob das Gericht die Auffassung des BVA teilt, da ist Skepsis angebracht.

Die Barmer-Juristen sind gewitzt: Obwohl die gesetzliche Vorgabe – 50 Prozent an Qualität – als Zuschlagskriterium in den Augen des BVA nicht umgesetzt ist, verweist die Kasse darauf, dass geforderte Qualitätskriterien bereits in ihrer Leis­tungsbeschreibung enthalten seien.

Verlierer sind die Patienten

Mehr und mehr wird klar, dass Patienten und Versorger in diesem Chaos die letzten Glieder in der Kette sind. Ihnen bleibt im Moment gar nichts anderes übrig, als sich auf alle denkbaren Vertragsszena­-rien einzustellen, diese irgendwie zu bedienen und die Infrastruktur dafür aufrechtzuerhalten. Dr. Uli Brandenburg, Marketingchef von Löwenstein Medical: „Wir nehmen die Entwicklung so, wie sie kommt, und versuchen in der Zwischen­zeit, die Versorgung so gut und so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Diese Unsicherheit ist durchaus auch mit signifikanten wirtschaftlichen Risiken verbunden.“

Mit dem Ausschreibungsinstrument wollte der Gesetzgeber im Hilfsmittelbereich eine wirtschaftliche Versorgung erreichen – und zwar explizit unter Bewahrung der bisherigen Produkt- und Dienst­leistungsqualität. Erhalten bleiben sollte auch die mitteständische Leistungsstruktur; es war also vorgesehen, dass die bisherigen kleinen und mittleren Home­care-Versorger ihren Platz im Markt bewahren sollten. Dieses Ziel wurde nachhaltig verfehlt!

Zuzahlung durch Patienten wird legitimiert

Viele Ausschreibungsgewinner sagen dem Patienten: Wir bieten im Rahmen der Ausschreibung zwei, drei Geräte an. Wenn Sie ein anderes Gerät (oder das Gerät, das Sie schon seit Jahren haben, das aber nicht zu unserem Portfolio gehört) wollen, dann müssen Sie draufzahlen. Bei den Masken gibt es oft auch nur zwei, drei oder vier Produkte – vielleicht zwei Nasen- und zwei Full-Face-Masken –, und wenn es damit nicht geht oder Sie etwas anderes möchten, dann dürfen Sie dafür auch aufzahlen.

„Wenn Zuzahlungen infolge der Ausschreibungen legitimiert werden, dann gibt der Kostenträger damit klar zu erkennen: Unsere Patienten müssen Teile der Leistung selbst tragen“, so Joachim Glotz. „Mir kann keiner erzählen, dass die Kassen nicht wissen, dass man mit dem ausgeschriebenen Portfolio nur einen Teil der Versorgungen sicherstellen kann. Also nimmt man billigend in Kauf, dass die Patienten einen immer größeren Teil ihrer Versorgung selber finanzieren.“

Was denken sich die Krankenkassen dabei?

„Ich glaube, die Kassen machen sich ein völlig anderes Bild von der Versorgungssituation“, meint Joachim Glotz. „Die denken: Sobald der Patient das Gerät hat, läuft das alles. Dann muss sich keiner mehr um ihn kümmern. Wenn es ein Problem gibt, geht er halt ins Schlaflabor, und wenn dort festgestellt wird, dass er eine neue Maske braucht, muss er sich an den Provider wenden, weil der Arzt die Maske nicht an ihn abgeben darf.“

Dass von der Funktionalität dieser Maske oder auch vom Zusammenwirken der Maske mit dem Gerät und der Anatomie des Patienten ein Großteil der Compliance abhängt, diese Überlegung schei­nen die Krankenversicherungen auszublenden. Aber das ist eine völlig falsche Betrachtungsweise, denn der Aufwand, den die Provider mit der Patientenbetreuung haben, rührt ja von den Problemen der Patienten mit ihrer Therapie her. Natürlich in unterschiedlicher Ausprägung: Der eine hat mehr Betreuungsbedarf, der andere weniger.

„Eigentlich kann ein kleines oder mittelständisches Unternehmen es sich gar nicht leisten, da mitzumachen. Für die Barmer-Ausschreibung“, so Glotz, „hätten wir für die erste Tranche ein Finanzierungsvolumen von knapp 2 Mio. Euro gebraucht. Gerade bei den heutigen Rahmenbedingungen will ich ein solches Volu­men nicht mehr finanzieren. Das ist auch nicht mehr mittelstandsfreundlich. Da würde sich meine Patientenklientel innerhalb von 12 Monaten verdoppeln. Ich wüsste gar nicht, wo ich qualifizierte Mitarbeiter dafür hernehmen soll.“

Zwei-Klassen-Medizin bei der CPAP-Versorgung

Die Schlafapnoe-Patienten geraten aktuell oftmals in eine sehr missliche Situa­tion. Es fällt nicht jedem leicht, 200 Euro oder noch mehr für Gerät und Maske zuzuzahlen.

Joachim Glotz: „Und gerade in diesem Versorgungsbereich müsste das ja eigent­lich auch gar nicht sein. Wenn man sich einmal vor Augen hält, was diese Therapie letztendlich bewirkt (oder eben nicht bewirkt), ist sie einfach zu wertvoll und zu wichtig, um wegen relativ kleiner eingesparter Beträge komplette Versorgungs­strukturen zu zerstören. Letztendlich führt das dazu, dass der Patient, der es sich leisten kann, das Gerät seiner Wahl und eine optimale Therapie bekommt. Ein anderer wiederum muss halt das nehmen, was er kriegt. Schließlich reden wir hier über Gesundheitsleistungen und nicht über Konsumgüter.“‹

MTD Medizintechnischer Dialog 07/ 2018

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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