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28. Juli 2022
Redaktion
Sprechstundenbedarf

Medizintechnik-Fachhandel zwischen Hoffen und Bangen

(08/2022) Wer Dr. Bastian Reuter (Kanzlei Hackstein Reuter Rechtsanwälte) von diversen Fachbeiträgen und Online-Seminaren – u. a. auch für den MTD-Verlag – kennt, der wusste eines sicher: Der Jurist liefert dem Medizintechnik-Fachhandel in Köln anlässlich der ZMT-Infotage 2022 topaktuelle Informationen in Sachen SSB (Sprechstundenbedarf). Und so kam es auch. Dabei hielten sich positive und negative Fakten in etwa die Waage. Verbreiten jüngste Gerichtsurteile hier und dort Hoffnungsschimmer, lassen sich die Kostenträger doch immer wieder neue „Nettigkeiten“ einfallen, um auf dem Regress-Parkett zu punkten.

Bevor sich Dr. Reuter mit den aktuellen – und durchaus spannenden – Entwicklungen beim SSB befasste, ging er kurz auf die beiden gängigen Bezugs- und Vertriebssysteme beim SSB ein. Unterschieden wird hier nach Gebieten mit Lieferverträgen „in verschiedensten Ausführungen“ zwischen Krankenkassen und Lieferanten und Gebieten ohne Lieferverträge.

Gebiete mit Lieferverträgen
Diese enthalten Regelungen hinsichtlich Preisen und Abrechnungsmodi. Hinzu kommen in der Regel eine allgemeine Verpflichtung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot, die laut Dr. Reuter „häufig in einem Satz, manchmal aber auch in verschiedenster Ausgestaltung“ geregelt sein kann, oder auch eine konkrete Verpflichtung zur Auswahlentscheidung zwischen mehreren Artikeln unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes durch den Lieferanten beinhalten kann.

Der große Vorteil für die SSB-Lieferanten, vor allem Medizintechnik-Fachhändler) besteht bei solchen Lieferverträgen laut Dr. Reuter darin, dass ein vertraglicher Vergütungsanspruch des Lieferanten gegenüber der Krankenkasse besteht.

Gebiete ohne Lieferverträge
Ganz anders stellt sich die rechtliche Lage für SSB-Lieferanten dar, wenn kein Liefervertrag besteht. Der Arzt verordnet und bezieht die Produkte und tritt seinen Erstattungsanspruch an den Lieferanten ab. Dieser rechnet dann mit der Krankenkasse ab.

Genau an diesem Punkt besteht nun allerdings eine große Rechtsunsicherheit. Status quo ist hier die strittige und offene Rechtsfrage, ob es überhaupt einen eigenständigen Vergütungsanspruch auf Seiten des Lieferanten gegenüber der Kasse aus der Garantiefunktion der vertragsärztlichen Verordnung heraus gibt. Die Krankenkassen stellen sich hier oft quer und verneinen das.

Sprechstundenbedarf: Gerichtsurteile machen Hoffnung
Allerdings kommt hier nun Bewegung ins Spiel, denn zwei jüngere LSG-Urteile argumentieren hier pro SSB-Lieferanten, so Dr. Reuter. Tenor: Ein Zahlungsanspruch des Lieferanten gegenüber der Krankenkasse setzt keinen Liefervertrag voraus. Über die Garantiefunktion der Verordnung des Arztes kann der Leistungserbringer trotzdem einen direkten Zahlungsanspruch gegenüber der Krankenkasse geltend machen.

Ein weiterer damit verbundener Vorteil besteht für SSB-Lieferanten laut Dr. Reuter darin, dass etwaige Kürzungen der Krankenkassen gegenüber dem SSB-Lieferanten auch noch bis zu vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden können, ohne dass der verordnende Arzt selbst klagen müsste.

Relevanz und Konsequenzen von Rahmenverträgen
Die beiden erwähnten LSG-Urteile befassten sich im Kern mit der Frage, ob und in welcher Form eine Krankenkasse exklusive, bilaterale (Rabatt)-Rahmenverträge mit einzelnen Leistungserbringern – bei gleichzeitigem Ausschluss anderer Leistungserbringer – schließen darf.

Das LSG Baden-Württemberg und das LSG Nordrhein-Westfalen kommen hier zu teilweise unterschiedlichen Einschätzungen. Die Rechtsfrage ist nun beim Bundessozialgericht anhängig, so Dr. Reuter. Die differenzierte Sichtweise der Landessozialgerichte stellte er in Köln plakativ gegenüber:

LSG BW (22.2.2021); L 4 KR 200/21 ER-B

  • Der Abschluss von Rahmenver­trägen setzt keine gesonderte Ermächtigungsgrundlage voraus.
  • Die Ausschreibung greift nicht in die Berufsfreiheit der SSB-Lieferanten ein.
  • Kein Ausschluss anderer Anbieter durch einen Rahmenvertrag.
  • Steuerung nur im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots.

LSG NRW (9.12.2021); L 16 KR 868/18

  • Der Abschluss von Rahmenverträgen setzt Ermächtigungsgrundlage voraus.
  • Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ist keine Ermächtigungsgrundlage zum Abschluss von Rahmenverträgen.
  • Vorrang der SSB-Vereinbarungen.

Relevanz des Wirtschaftlichkeitsgebots
Spannend sind die beiden LSG-Urteile auch noch hinsichtlich eines weiteren weithin umstrittenen Punktes – der Bindung des Lieferanten an das Wirtschaftlichkeitsgebot. Und auch die finale Klärung dieser Rechtsfrage ist aktuell beim Bundessozialgericht anhängig. Die Position der Krankenkassenseite ist klar. Sie bejaht grundsätzlich die Bindung der SSB-Lieferanten an das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Die beiden LSG-Urteile stellen sich hingegen in ihrer Argumentation auf die Seite der Lieferanten, so Dr. Reuter. Die Argumentation: Der Lieferant ist kein Leistungserbringer i. S. d. § 69 SGB V. Die Kasse darf entsprechende Leistungen durch den Leistungserbringer deshalb nicht kürzen. Entsprechende Wirtschaftlichkeitsprüfungen müssen beim Vertragsarzt erfolgen (§ 106 ff. SGB V). Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist dann strukturiert zu prüfen, ob der Nachweis der Unwirtschaftlichkeit geführt werden kann.

Aktuelle Spielarten in puncto Regressforderung
Dr. Reuter befasste sich in Köln auch mit aktuellen Varianten der Regressforderung in Sachen SSB gegenüber Lieferanten.

Die Rezeptprüfstelle Duderstadt (AOK Niedersachsen) etwa kürzt Lieferantenrechnungen unter Hinweis auf unwirtschaftlichen Bezug. Sie verweist auf Produkte, die über eine alternative PZN eines Großhändlers einen vermeintlich günstigeren Herstellerabgabepreis aufweisen. Hier stellen sich aus Sicht von Dr. Reuter gleich zwei Fragen: 1) Ist die Bindung des Lieferanten an das Wirtschaftlichkeitsgebot vertraglich begründbar? 2) Ist die damit verbundene Auswahlentscheidung überhaupt auf den Leistungserbringer delegierbar?

Vertragsärzte werden von Kassenseite über vermeintlich unwirtschaftliche Hersteller und Großhändler informiert (KV Westfalen-Lippe). Argumentationsmuster: Der Hersteller/Händler ist „unwirtschaftlich, da hochpreisig“. Es handele sich „um einen besonders hochpreisigen Anbieter“.

Für Dr. Reuter zumindest im Fall von Händlern ein klarer Fall von geschäftsschädigendem Verhalten. Betroffene Händler müssten hier sofort reagieren, denn die Gefahr sei groß, dass solche Standardschreiben gleichzeitig an viele weitere potenzielle Kunden des SSB-Lieferanten verschickt wurden. Hieraus ergebe sich der Anspruch auf Unterlassung gegenüber der Krankenkasse bzw. Prüfstelle, da es sich um eine unzutreffende und pauschale Herabwürdigung handle, aber auch eine unzulässige Beeinflussung von Vertragsärzten.

Vermehrt zielen Prüfstellen auf Produkte ab, die auch außerhalb des SSB-Spektrums einsetzbar sind (Dual-Use-Produkte). Beispielhaft verwies Dr. Reuter auf Herstellerinformationen wie „Vliesstoff-Kompressen, von der Rolle, zusätzlich zum Auslegen von Instumentenschalen“ oder die falsche Bezeichnung einer Mullkompresse als „Bandage“. Prüfanträge von Kassenseite seien hier vorprogrammiert. Im Regressfall müsse der Arzt nachweisen, dass das Produkt ausschließlich zu SSB-Zwecken eingesetzt wurde.

Abgehoben wird von Prüfstellen auch vermehrt auf echte und vermeintliche Zusatzeigenschaften von SSB-Produkten. Im Auge haben die Krankenkassen hier vor allem SSB-Produkte mit echten Zusatzeigenschaften, die dadurch nach Auffassung der Krankenkassen eine vermeintliche Unwirtschaftlichkeit indizieren. Relativ neu ist der Trend, dass Arzneimittelkosten im Rahmen der SSB-Wirtschaftlichkeitsprüfungen als Argument für eine generell unwirtschaftliche Verordnungsweise herangezogen werden. So wird vermehrt im Rahmen der Durchschnittsprüfungen im Vergleich zur Facharztgruppe der Verbrauch des Arztes von Arzneimitteln beim SSB (vor allem parenterale Kortikoide und Lokalanästhetika) kritisch bewertet.

 

 

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Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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