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4. Dezember 2018
Redaktion
Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG)

Nachbesserungsbedarf bei Qualität der Hilfsmittelversorgung

Beim Hilfsmittel-Forum des BVMed im Rahmen der Düsseldorfer Rehacare-Messe stand eine Podiumsdiskussion unter Moderation von Rechtsanwältin Bettina Hertkorn-Ketterer mit Teilnehmern aus der Politik, Vertretern der Leistungserbringer, Betroffenenverbände und der Krankenkassen im Mittelpunkt. Dabei wurden die unterschiedlichen Positionen deutlich. Der Forderung nach weitreichenden Korrekturen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) will die Politik aber offensichtlich nicht nachkommen. Eröffnet wurde die Diskussion durch ein Statement von Andreas Brandhorst vom Gesundheitsministerium.
Foto: Gerd Altmann/Pixabay

Andreas Brandhorst tat sich bei der Beurteilung schwer, ob das HHVG die Versorgung entscheidend verbessert hat. Der Grund liegt darin, dass je nach Absender gefärbte Rückmeldungen kommen. Weiter komme es auf die konkreten Vertragsgestaltungen an. Schlussendlich sei das Gesetz noch nicht vollständig umgesetzt. Als Beispiel führte er die Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) an, die bis Jahresende 2018 abgeschlossen sein muss. Bei diesem Punkt verschloss er nicht die Augen vor der Kritik, dass die Fristen für Stellungnahmen der berechtigten Organisationen zu kurz waren und dass Stellungnahmen vom GKV-Spitzenverband ignoriert wurden. Aber auch hier wolle die Regierung nicht eingreifen, weil sie die Vorgänge nicht beurteilen könne. Zuständig sei die Rechtsaufsicht.

Speziell sprach Brandhorst Hilfsmittel-Ausschreibungen an. Er betonte, dass laut Gesetz Ausschreibungen für individuelle Versorgungen oder Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil nicht zulässig seien. Mit dieser Aussage stellte er sich gegen die Auffassung einiger Kassen, die sich auf ein Urteil des OLG Düsseldorf beziehen, dass grundsätzlich ausgeschrieben werden müsse. Auch das OLG Düsseldorf habe im Juni seine frü­here Rechtsprechung relativiert. Definitiv seien die Kassen nicht zu Ausschreibungen verpflichtet.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Vertragscontrolling durch die Krankenkassen. Diesbezüglich wurde der GKV-Spitzenverband angewiesen, die Krankenkassen zu Art und Weise der Durchführung zu befragen. Anpassungsbedarf sieht Brandhorst bei den Versicherten-Informationen. Diese würden die Kassen zwar anbieten, teilweise fehle es aber an Verständlichkeit. Weiter muss nach Ansicht Brandhorsts bei den Qualitäts- und Dienstleistungsdefinitionen nachgearbeitet werden.

Produktpreis muss Versorgung ermöglichen

Bei der Podiumsdiskussion wirkten neben Brandhorst Ben Bake von Sanitätshaus Aktuell, Thomas Piel vom Reha-Service-Ring und vom Verband für Versorgungsqualität Homecare, Dr. Walter Seliger vom GKV-Spitzenverband, Matthias Zeisberger von Inkontinenz Selbsthilfe e.V., Dr. Siiri Doka von der BAG Selbsthilfe und Bernd Faehrmann vom AOK-Bundesverband mit.

In der Diskussion ergänzte Andreas Brandhorst seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass Defizite in der Inkontinenzversorgung maßgeblich das HHVG angeschoben hätten. Er habe das Gefühl, dass sich hier viel gebessert habe. Wenn der Preis die gesetzlichen Vorgaben nicht gewährleisten könne, verhalte sich jemand ungesetzlich – entweder die Krankenkasse oder der Leistungserbringer. Zu sagen, dass die Preise zu niedrig sind und deshalb das Gesetz nicht einzuhalten sei, gehe nicht. Handlungsbedarf sieht Brand­horst bei den Auslegungsmöglichkeiten von Verträgen. Dabei sieht er aber eher die Vertragspartner in der Pflicht und erteilte gesetzgeberischem Aktionismus eine Abfuhr.

Sachleistungsprinzip ohne Aufzahlungen

Grundsätzlich beurteilte Dr. Siiri Doka von der BAG Selbsthilfe das HHVG positiv. Es komme aber noch nicht bei den
Patienten an. Das habe eine Umfrage gezeigt. Ein Problem liege in der Beratung. Bei Sanitätshäusern, die schon vor dem HHVG schlecht beraten haben, habe sich nicht viel geändert. Verbesserungsbedarf sieht sie aber auch bei der Versicherten-Information durch die Krankenkassen. Auch dass die Aufzahlungen nicht zu­rück­gingen, rügte sie.

Grundsätzlich sprach sie sich für ein Sachleistungsprinzip ohne jegliche Aufzahlungen aus, schließlich würden vor allem ältere, weniger wohl­habende Menschen durch die Aufzah­lungen leiden. Die meisten Aufzahlun-gen gebe es, weil sich die Patienten aus medizinischen Gründen zu einer höherwertigen Versorgung entschlössen und nicht aus Komfort-Gründen. Als Lösung forderte sie, die Verträge und die Preise zu ändern.

Foto: privat
Andreas Brandhorst stellte nicht in Aussicht, dass es zu umfangreichen gesetzlichen Korrekturen beim HHVG kommen wird

Die Betroffenen leiden leise

Der Versichertenspezialist für Inkontinenzversorgungen Matthias Zeisberger bezeichnete die Inkontinenzversorgung vor dem HHVG als katastrophal. Dumpingpreise torpedierten eine ordentliche Versorgung. Bei guten Versorgungen gehe es nicht um Luxus, sondern um individuelle Bedürfnisse, die durch die Vertragspauschalen nicht abgedeckt werden könn­ten.

Dass relativ wenig Kritik von den Betroffenen käme, liege daran, dass diese sich nicht wehren können. Auch verfügten sie nicht über die notwendigen In­formationen, um sich lautstark ans Bundesversicherungsamt oder an ihre Kasse zu wenden. Diese Menschen würden leise leiden. Zeisberger kritisierte zu­dem die Versorgung durch überregionale Vertragspartner. Die Menschen bräuchten Versorger, denen sie vertrauen und mit denen sie persönliche Kontakte haben.

Problemlösung durch Beschwerdemanagement

Bernd Faehrmann als AOK-Vertreter lob­te die Verbesserungen der Rahmenbedingungen durch das HHVG, gab aber zu, dass die Ausschreibungen kontrovers diskutiert werden. Bei manchen Produkt­gruppen würden sie gut funktionieren. Aber auch er sieht die wirtschaftlichen Aufzahlungen als Problem. Die Versicher­ten sollten sich an ihre Kasse wenden.
Faehrmann machte aber auch klar, dass der GKV-Leistungsrahmen auch Grenzen habe. Der GKV-Spitzenverband sollte zum Juni diesen Jahres einen Bericht über die wirtschaftlichen Aufzahlungen liefern. Dies ist noch nicht geschehen. Als Gründe sieht Faehrmann unterschiedliche Datenlagen bei den Akteuren und Umgehungsstrategien bei privaten Leistungen. Wegen fehlender Zahlen aus der Vergangenheit werde der erste Bericht auch keine Vergleiche liefern, sondern sei als erste Bestandsaufnahme zu verstehen.

Foto: privat
Die Diskutanten (v. l.): Matthias Zeisberger, Thomas Piel, Ben Bake, Dr. Walter Seliger, Mode ratorin Bettina Hertkorn-Ketterer, Andre as Brandhorst, Dr. Siiri Doka und Bernd Faehrmann

Auch hinsichtlich des Vertragscontrollings dämpfte er die Erwartungen. Die Kas­sen würden diese Verpflichtung mit unter­schiedlicher Intensität erfüllen. Außerdem könne Vertragscontrolling nur bei den Rahmenbedingungen ansetzen. Probleme bei individuellen Versorgun-gen müssten über das Beschwerdema­nagement gelöst werden. Abschließend wünsch­te sich Faehrmann, dass es kein neues Gesetz gibt. Wir würden in einer überregulierten Welt leben.

Konstruktive Zusammenarbeit beim HHVG

Dr. Seliger vom GKV-Spitzenverband versprach den Bericht über wirtschaftliche Aufzahlungen bis Juni nächsten Jahres. Der Bericht werde quantitative und qualitative Aussagen zu berechtigten und unberechtigten Aufzahlungen enthalten. Auch er begründete die Verzögerung mit der unzureichenden Datenlage. Die Software-Anbieter hätten erst reagieren müssen. Beim HHVG lobte er, dass Dienstleis­tungsanforderungen, wie die Beratung, verankert worden seien. Beim HMV wünscht sich Seliger eine Versachlichung der Diskussion und eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Gestaltung.

Durch Digitalisierung sparen

Thomas Piel als Vertreter der Leistungserbringer verdeutlichte anhand von Zahlen die katastrophale Preisentwicklung. Vor zehn Jahren sei die Inkontinenzversorgung mit 38 Euro abgerechnet worden, heute sei von der DAK Gesundheit ein Ver­trag mit 11,89 Euro geschlossen worden. Bei einem solchen Preis sei eine Versorgung auch bei untersten Qualitätsstandards ohne Aufzahlung nicht möglich.

Nicht nachvollziehbare Preisreduktionen seien aber auch bei der Beatmung, der Stoma-Versorgung, der Wundversorgung, bei Gehhilfen und Rollstühlen festzustellen. Schuld am Preisverfall bei Inkontinenzhilfen seien Hersteller gewesen, die entsprechende Angebote bei der Barmer-Ausschreibung offerierten. Die Sanitätshäuser seien außen vor gewesen.
Die vom Gesetzgeber gewünschte ortsnahe Versorgung sei nur mit auskömmlichen Preisen zu leisten. Als Lösungsansatz, um Wirtschaftlichkeitsreserven zu heben, sieht Piel nicht Einsparungen bei der Versorgung der Patienten, sondern darin, die Verwaltung durch Digitalisierung in Form elektronischer Rechnungen, Kostenvoranschlägen usw. zu vereinfachen und die Bürokratie zu reduzieren.

Sanitätshäuser wollen eine gute Versorgung

Ebenfalls von Leistungserbringerseite kommend, ist Ben Bake auch die Bürokratie ein Dorn im Auge, z. B. in Form der Dokumentationen. Hinsichtlich des HHVG meinte er, dass dieses gut gemeint gewesen sei, Unzulänglichkeiten aber nun kor­rigiert werden müssten. Auch er sprach die Dokumentationsanforderungen an. Bei der Versorgung lobte er die Sanitätshäuser. Er sprach die von den Sanitätshäusern ausgebildeten Hilfsmittel-Koordinatoren an, die die Versorgungsqualität verbessern sollen. Bei den Dumping-Preisen sei das aber nicht zu machen. Im Gegensatz zur Betreuung durch Sani­tätshäuser müss­ten die Patienten bei der Belieferung durch Versandhändler Produkte selbst aufbauen. Der eingeschlagene Weg gehe auf Kosten der Patienten.

 

MTD Medizintechnischer Dialog 11 / 2018

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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