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3. Januar 2019
Redaktion
EU-MDR / Hilfsmittelmarkt

Hersteller und Leistungserbringer müssen sich rüsten

Am 26. Mai 2017 trat die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) in Kraft, bis zum 26. Mai 2020 müssen viele ihrer Bestimmungen umgesetzt sein. Produkte, die nach der bislang noch geltenden RL 93/42/EWG in Verkehr gebracht wurden, dürfen noch bis zum 25. Mai 2025 auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden. „Vorbereiten muss man sich aber unbedingt jetzt!“, war die eindeutige Botschaft des MDR-Seminars von Beo Berlin. Voll betroffen sind auch Orthopädie- und Rehatechniker sowie Orthopädieschuhmacher. Denn sie müssen nicht nur die Vorgaben für Händler erfüllen, sondern gelten bei der Fertigung individueller Hilfsmittel auch als Hersteller.
Foto: Deniz Anttila/Pixabay

Die MDR stelle alle Beteiligten vor große Herausforderungen, machte Olaf Meyer von der Beo MedConsulting Berlin GmbH gleich zu Beginn der Veranstaltung klar. Selbst die Benannten Stellen, die sich für die MDR neu akkreditieren lassen müssen, würden derzeit abwägen, ob sie den Anforderungen der EU-Medizinprodukte-Verordnung überhaupt gewachsen seien. Das Seminar der Beo Berlin war speziell auf Hersteller von Medi­zinprodukten der Klasse I ausgerichtet.

Alle Akteure betroffen

„Die MDR ist ungefähr dreimal so umfangreich wie die bislang geltende euro­päische Richtlinie RL 93/42/EWG und sie ist völlig neu strukturiert“, veranschaulichte Thomas Lippke von der Mdc medi­cal device certification GmbH. Da die MDR auch Vorkehrungen für zusätzliche künftige Rechtsakte enthalte, sei derzeit noch nicht absehbar, welchen Umfang und welche Dynamik sie letztendlich erhalten werde. „Das Motto lautet: Gehen Sie zurück auf Los!“, brachte es der Referent humor­voll auf den Punkt. Denn die MDR mache neue Zertifizierungen für Hersteller, neue Registrierungen für Produkte und neue Akkreditierungen der Benannten Stellen notwendig.

Während sich die RL 93/42/EWG vor allem auf Hersteller fokussiert hat, nimmt die MDR, die diese Richtlinie ablöst, alle Wirtschaftsakteure in die Pflicht. „Dadurch hat die MDR Relevanz für alle Orga­nisationen im Bereich der Medizinprodukte. Neben den Herstellern werden nun auch Import, Vertrieb, Handel sowie Tätigkeiten in Service und Gesundheits­einrichtungen einbezogen und wesentlich stärker reguliert“, erläuterte Lippke. So regele die MDR, mit Ausnahme der Entsorgung, den gesamten Lebenslauf des Medizinprodukts, von der Entwicklung über die Herstellung und den Vertrieb bis hin zur Anwendung in den Gesundheitseinrichtungen.

Zu den sogenannten „Wirtschaftsakteuren“, die die MDR in den Blick nimmt, zählen Hersteller, Händler, Importeure und Bevollmächtigte. „Diese und weitere wichtige Begriffe, zum Beispiel Inverkehr­bringen, Bereitstellung auf dem Markt, Vorkommnis, Nutzen-Risiko-Abwägung, gefälschtes Produkt, werden auf den ers­ten Seiten der MDR definiert“, erklärte Lippke und riet, sämtliche Begriffsbestimmungen genau zu lesen. „Da steht schon ein Großteil Ihrer Aufgaben drin – und wenn Sie diese Begriffe nicht verstehen, verstehen Sie auch den Rest nicht.“

Hersteller von Sonderanfertigungen

Orthopädie- und Rehatechniker und Ortho­pädieschuhmacher sind in der Regel Händler, wenn es um die Abgabe konfektionierter, industriell gefertigter Produkte geht, und Hersteller von Sonderanfertigungen, wenn es sich um Prothesen und Orthesen, Reha-Sonderanfertigungen sowie orthopädische Maßschuhe und Einlagen handelt. Doch müssen sie auch die Pflichten der übrigen Wirtschaftsakteure kennen, da die MDR vorsieht, dass jeder jeden kontrolliert.

So muss ein Händler beispielsweise überprüfen, ob Hersteller und Importeur bestimmte Pflichten der MDR erfüllt haben. Dies geht so weit, dass der Händler ein Medizinprodukt nicht abgeben darf, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass einer von ihnen seine Pflichten nicht erfüllt hat.

Foto: privat
Thomas Lippke betonte, dass die MDR auch den Handel in die Pflicht nimmt

„Da werden eine Menge Informationen hin- und herfließen müssen“, sagte der Mdc-Experte, räumte aber ein, dass dies in der Realität nur sehr schwierig zu bewerkstelligen sein werde. Er könne sich vorstellen, dass es in Bezug auf den Austausch von Informationen und die Einhaltung der Vorschriften der MDR zu Verträgen zwischen den einzelnen Wirtschaftsakteuren, vor allem zwischen Herstellern und Händ­-lern, kommen werde.

„Das große Problem der MDR ist, dass sie nach dem Gießkannenprinzip alle Hersteller vor die gleichen Anforderungen stellt“, akzentuierte Natascha Möller-Woltemade von Beo Berlin. Hersteller von Sonderanfertigungen werden in den meis­ten Punkten wie die Hersteller von serienmäßig, industriell gefertigten Medi­zinprodukten behandelt. „Alle Passagen der MDR, in der es um Hersteller geht, gelten auch für die Leistungserbringer, die individuelle Hilfsmittel fertigen – es sei denn, dort steht ,außer für Hersteller von Sonderanfertigungen‘“, bekräftigte auch Lippke.

Anforderungen an Hersteller

Im Seminarverlauf stellten Thomas Lippke und Karsten Nieter-Kubin von Beo Berlin die Pflichten der einzelnen Wirtschafts­akteure genauer dar. Entsprechend der Zusammensetzung des Publikums nahmen die Anforderungen an Hersteller den größten Raum ein. Diese sind in Arti­kel 10 der MDR formuliert. Besondere Verfahren für Hersteller von Sonderanfer­ti­gungen beinhaltet zudem Anhang XIII. Wie Nieter-Kubin genauer erläuterte, müssen Hersteller von Produkten, die keine Sonderanfertigungen sind, eine EU-Konformitätserklärung abgeben und ihre Produkte mit der CE-Kennzeichnung versehen.

Für diese Produkte wird ein sogenanntes UDI-System (Unique Device Identification System) eingeführt, das es mittels einer Kennzeichnung erlaubt, Medizinprodukte zu identifizieren und nachzuverfolgen. Dabei wird für jedes Medizinprodukt, aber auch für jede Behandlungseinheit und jede Verpackungsebene, eine eindeutige Identifikation vergeben. Nur für Sonderanfertigungen und Produkte zur klinischen Erprobung gilt dies nicht.

Orthopädietechniker und Orthopädie­schuhmacher müssen also auf ihre individuell gefertigten Produkte keine UDI anbringen, müssen jedoch als Händler, die seriell bzw. industriell gefertigte Produkte abgeben, dennoch über das UDI-System Bescheid wissen. Ändern sie zum Beispiel die Verpackung eines Medizinproduktes, müssen sie eine entsprechen­de UDI für die neue Verpackung aufbringen. Außerdem liegt es im Bereich des Möglichen, dass Angehörige von Gesundheitsberufen die UDI der Produkte, die sie beziehen und abgeben, elektronisch erfassen und speichern müssen, so Nieter-Kubin.

Eine große Herausforderung kommt auf alle Hersteller (auch von Sonderanfertigungen) dadurch zu, dass sie ein Risi­komanagementsystem einrichten müs­sen. Auch für Medizinprodukte-Hersteller, die in der Vergangenheit bereits Risikoanalysen durchführen mussten, sei das geforderte System in dieser Ausprägung neu. „Das geforderte Risikomanagement­system ist ein never ending system“, machte Lippke klar, „denn Sie müssen es nicht nur einrichten und dokumentieren, sondern auch ständig aufrechterhalten und aktualisieren.“

Ebenfalls großen Aufwand bedeutet es für Hersteller, dass sie eine umfangreiche technische Dokumentation für das Medi­zinprodukt verfassen und diese ebenfalls immer auf dem neuesten Stand halten müssen. Für Hersteller von Sonderanfertigungen gibt es dabei eigene Regelungen, die in Anhang XIII Absatz 2 der MDR beschrieben sind. Die technische Dokumentation muss so beschaffen sein, dass durch sie eine Bewertung der Konformität des Produkts mit den Anforderungen der MDR ermöglicht wird. Sie enthält zahlreiche Elemente, die in Anhang 2 und 3 der MDR beschrieben sind, wie Nieter-Kubin näher ausführte.

Zertifizierung nach DIN EN ISO 13485 hilfreich

Hersteller von Medizinprodukten müssen zudem ein umfangreiches Quali­täts­managementsystem einrichten, dokumentieren und ständig aktualisieren, das alle Teile und Elemente seiner Organisation umfasst, die mit der Qualität der Prozesse, Verfahren und Produkte befasst sind. „Wer bereits nach DIN EN ISO 13485 zertifiziert ist, ist darauf schon ganz gut vorbereitet“, meinte Lippke. Er geht davon aus, dass diese Norm auf die MDR harmonisiert werden wird.

Die Frage, ob diese Zertifizierung auch für Orthopädietechniker anzuraten sei, bejahte er: „Ein Leistungserbringer, egal, ob in der Rolle als Hersteller/Sonderanfertiger oder Händler, wird es sehr schwer haben, die Anforderungen der MDR ohne ein wirksames QM-System zu erfüllen. Die ISO 13485 für das eigene QM-System als Rahmen zu nutzen, erscheint mehr als sinnvoll, da die Schnittmenge doch recht deutlich ist, wenn auch einige Anforderungen der MDR, wie die Klinischen Bewertungen, darin nicht im vollen Umfang abgebildet sind.

Viele Aspekte der MDR werden in der DIN ISO 13485 aber bereits angesprochen und können so sys­tema­tisch abgebildet werden. Ich denke da zum Beispiel an Medizinprodukte­akte, Rückverfolgbarkeit, Berichtswesen, Vorkommnisse, Risikomanagement, Qua­litätsmanagement, Reklamations- und Rückmeldungswesen. Eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 13485 ist zum einen ein Nachweis, dass das eigene QM-System in der Lage ist, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen. Zum anderen kann man die Begutachtung von außen, die bei der Zertifizierung stattfindet, auch als eine Unterstützung bei der Erfüllung dieser Anforderungen sehen.“

Eine der größten Herausforderungen der MDR ist, dass Hersteller klinische Bewertungen ihrer Medizinprodukte vorlegen müssen. Gefordert ist nicht nur der Nachweis des medizinischen Nutzens und der Sicherheit des Produkts, sondern auch eine klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen. Zudem muss ein System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen eingerichtet werden, das stetig auf dem neuesten Stand gehalten werden muss. Auch ein System für die Aufzeichnung und Meldung von Vorkommnissen muss der Hersteller aufbauen.

„Die MDR fordert dabei, dass Sie proaktiv auf den Markt gehen und forschen, ob es Vorkommnisse mit Ihren Medizinprodukten gibt. Sie dürfen nicht warten, bis eine Info zu Ihnen gelangt“, machte er deutlich. „In den genannten Anforderungen ist viel Zündstoff drin,
Artikel 10 lesen ist für Sie Pflicht!“, appellierte er an das Publikum.

Klinische Bewertungen für jedes Medizinprodukt

Nach den einführenden Vorträgen gab es vertiefende Workshops zu einzelnen Themen: Karsten Nieter-Kubin informierte detailliert über die Anforderungen der Technischen Dokumentation und Thomas Lippke über die DIN EN ISO 13485 als Leitplanke und Rahmen. Natascha Möller-Woltemade widmete sich dem für die Teilnehmer besorgniserregenden The­ma Klinische Bewertungen. „Man kann ein Brustimplantat nicht mit einer Greifzange vergleichen, die es einem Behinderten ermöglicht, etwas vom Boden aufzuheben“, meinte die Refe­rentin. „Fakt aber ist, dass für alle Medizinprodukte die gleichen Spielregeln gelten; es müssen klinische Bewertungen vorgelegt werden.

Hersteller müssen da­mit den medizinischen Nutzen, aber auch die Sicherheit des Produkts nachweisen.“ Neu sei, dass klinische Bewertungen nicht nur einmal, sondern nun mindestens alle fünf Jahre durchgeführt werden müssen, für Medizinprodukte höherer Risikoklassen sogar häufiger. Einen wesentlichen Bestandteil der klinischen Bewertungen werden Literaturanalysen bilden, führte die Expertin aus. Bei höherklassigen Medizinprodukten sei es noch relativ einfach, Studien zu finden, doch über einfachere Produkte, wie Greifzangen oder Infusionsständer, sei dies nahezu unmöglich, sodass kreative Lösungen für den Nachweis des medizinischen Nutzens gesucht werden müss­ten.

Wichtig sei, dass die klinische Bewertung von einem möglichst qualifizierten Autorenteam verfasst werde. Gebe es keine Literatur, müsse der Hersteller selbst eine klinische Studie beibringen. „Das ist ein ungeheurer Aufwand und auch sehr teuer“, erklärte Möller-Woltemade. „Ich finde es für große Hersteller schon schlimm, aber für kleinere Sani­tätshäuser und Orthopädieschuhmacher ist das eine absolute Zumutung, die an die Existenz gehen kann. Ich fürchte, dass kleinere Leistungserbringer, die die personellen Ressourcen und den organisatorischen Background nicht haben, an den Anforderungen der MDR zerbrechen können.“ Ein großes Problem sei, dass das Gesundheitshandwerk ein deutsches Spezifikum sei, das es in den meisten EU-Ländern in dieser Form nicht gebe. Auf Verbands­ebene werde derzeit intensiv diskutiert, wie damit umzugehen sei.

Annette Switala

MTD Medizintechnischer Dialog 12 / 2018

Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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