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27. Juli 2023
Redaktion
Kundenbindung und Marketing für Sanitätshäuser

Healthfluencerin Caroline Sprott im Interview

„Um sich im Wettbewerb zu behaupten, muss sich der Fachhandel marketingtechnisch breiter aufstellen, netzwerken und online sichtbarer werden!“, sagt Healthfluencerin Caroline Sprott. Im Interview gibt sie praktische Tipps, wie Sanitätshäuser Neukunden gewinnen, bestehende langfristig binden und sich vom Wettbewerb abheben.
Caroline
Foto: medi
Caroline Sprott ist „Healthfluencerin“, Markenbotschafterin im Bereich Lip- und Lymphödem sowie Unternehmerin.

Sanitätshäuser leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung vor Ort – und stehen dabei vor vielfältigen Herausforderungen: steigender Kostendruck, Fachkräftemangel und die Digitalisierung der Branche. Gleichzeitig sehen sie sich einer aufgeklärten, anspruchsvollen Kundschaft gegenüber, die sich zunehmend online informiert. Um sich im Wettbewerb zu behaupten, ist es deshalb unerlässlich, online sichtbarer zu werden und aus Kunden treue Fans zu machen.

Caroline Sprott ist „Healthfluencerin“, Markenbotschafterin des Herstellers medi und hat sich in den letzten Jahren eine große Community aufgebaut im Bereich Lip- und Lymphödem. Zudem ist sie Unternehmerin mit eigenem Modelabel „Luna Largo“ und hat 2021 den Shop „Power Sprotte“ online und mit Boutique in Augsburg eröffnet.

 

Caroline Sprott im Interview

Liebe Frau Sprott, Sie selbst setzen als Unternehmerin auf Marketing mit Gefühl. Was macht Fans für Sanitätshäuser so wertvoll?

„Fans sind loyal, kommen häufiger als andere Kunden und sind bereit, mehr zu investieren. Sie fühlen sich in besonderer Weise mit dem Unternehmen verbunden und nehmen gerne weitere Angebote und Folgeprodukte wahr. Früher mussten Sanitätshäuser kein oder nur wenig Marketing und Werbung betreiben – die Kunden kamen auf Empfehlung oder weil die Filiale nah am Wohnort beziehungsweise strategisch gut gelegen war.

Doch die Branche verändert sich und nicht nur andere Sanitätshäuser sind direkte Konkurrenten, sondern auch Online-Anbieter für Medizinprodukte haben sich in den letzten Jahren am Markt etabliert. Außerdem sind Kunden besser aufgeklärt und online aktiver – Gesundheitsthemen und Therapiemöglichkeiten recherchieren sie im Internet. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten und damit auch auf Kaufentscheidungen. Um mit der Zeit zu gehen und Kunden zu erreichen, muss sich der Fachhandel marketingtechnisch breiter aufstellen, netzwerken und Social Media Kanäle bespielen. Wer jetzt schnell ins Tun kommt und präsent bei seiner Zielgruppe ist, kann seinen Vorsprung klar ausbauen.“

 

Wie finden Sanitätshäuser heraus, wer ihre Zielgruppe ist?

„Aus meiner Erfahrung kennen die meisten ihre Kundschaft sehr gut, definieren diese aber nicht näher. Dies können zum Beispiel Diabetiker sein, Patienten mit Thrombose oder Lip- und Lymphödem. Erarbeiten Sie die Lieblingskunden der letzten Jahre und ihre Gemeinsamkeiten. Was wünscht sich diese Zielgruppe und was beschäftigt sie – kurz, welche Leidensdruckthemen hat sie?“

 

Was ist für Sie der Schlüssel zu einer besseren Online-Sichtbarkeit?

„Vor allem zwei sind relevant: Erstens ein Unternehmensprofil bei Google für jeden Standort mit der Möglichkeit, direkt einen Termin zu vereinbaren. Dabei auf Kommentare und Bewertungen zeitnah reagieren, um Vertrauen zu schaffen. Und zweitens eine gut gemachte Webseite mit aktuellen Informationen. Diese ist das Herzstück eines jeden Marktauftritts und vermittelt Interessierten einen ersten Eindruck.“

 

Welche Kriterien sind bei einem Internetauftritt zu beachten?

„Die Besucher möchten sehen, wie sich das Haus präsentiert: Macht es einen kompetenten Eindruck? Ist es modern ausgestattet und benutzt digitale Systeme, z. B. für das Maßnehmen oder Software  für die orthopädische Einlagenversorgung? Bereits hier wird eine erste Entscheidung getroffen. Auf der Internetseite hat der Fachhandel außerdem die Chance, potenzielle Kunden konkret mit ihren Bedürfnissen abzuholen: Was beschäftigt sie? In welcher Situation befinden sie sich?

Zusätzlich zur Therapielösung möchten Patienten auch auf emotionaler Ebene angesprochen werden. Sie haben beispielsweise ihr erstes Rezept für medizinische Kompression erhalten und suchen einen Fachhändler, der umfassend und einfühlsam berät. Das Zwischenmenschliche muss passen: Patienten möchten sich als Person verstanden fühlen inklusive ihrer Bedürfnisse, Ängste und Sorgen.“

 

Wie kann dies über die Internetseite transportiert werden?

„Ausdrucksstarke Bilder! Fotos bieten dem Sanitätshaus die Chance, Gesicht, Emotion und Nähe zu zeigen. Deshalb sind authentische Aufnahmen aus dem Sanitätshaus immer Stockfotos vorzuziehen – direkt aus dem Beratungsalltag und von echten Mitarbeitern vor Ort. So können Patienten sich die Beratung bildlich besser vorstellen und bereits eine emotionale Beziehung herstellen. Authentische Einblicke bieten auch die Möglichkeit, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und bei potenziellen Kunden im Gedächtnis zu bleiben.“

 

Gibt es weitere Möglichkeiten, Interessenten auf der Internetseite einzufangen?

„Mit verständlichen, auf den Punkt gebrachten Texten, die folgende drei Fragen beantworten: Was bietet das Sanitätshaus an? Für wen? Und was ist die Besonderheit daran beziehungsweise was unterscheidet das Haus von anderen? Wichtig ist dabei, in der Sprache der Kunden zu bleiben, um ihnen zu zeigen, dass ihre Probleme verstanden werden – und ihnen individuelle Lösungen anzubieten.

Auch können Kundenstimmen Kompetenz sowie langjährige Expertise belegen und Sicherheit vermitteln. Sie bestimmen maßgeblich den Gesamteindruck, den Interessenten vom Haus erhalten – am besten als Zitat eingebunden mit Foto, Name und Indikation oder als kurzes Video. Ideal ist, wenn sich die Referenzen inhaltlich ergänzen und ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Dazu eignen sich hervorragend langjährige zufriedene Kunden oder bekannte Gesichter aus der lokalen Community.“

 

Mit welcher Marketing-Maßnahme sollten Sanitätshäuser konkret starten, um sichtbarer zu werden?

„Für die optimale Startmaßnahme gibt es kein allgemein gültiges Rezept – wichtig ist, überhaupt zu beginnen! Es gibt unzählige Social-Media-Kanäle, aber das ZieI ist nicht, auf allen präsent zu sein. Stattdessen gilt es herausfinden, wo sich die Zielgruppe befindet und dort aktiv zu sein. Beispielsweise im Bereich Lip- und Lymphödem sind die relevanten Plattformen Instagram und Facebook.“

 

Welche Themen funktionieren dort gut?

„Oberste Regel: Jeder Beitrag muss einen Zweck erfüllen und einen Mehrwert bieten – plus spielt der Unterhaltungsfaktor einen enormen Beitrag zur Sichtbarkeit des Posts und des Profils. Im Sommer ist bei Lip- und Lymphödem-Betroffenen beispielsweise Hautpflege ein Dauerbrenner. Ist jemand im Team bereit, einen kurzen Clip oder ein Foto zu diesem Thema aufzunehmen? Es muss nicht hoch professionell aussehen, sondern es kommt auf Authentizität und Leidenschaft an.

Aus meiner Erfahrung rate ich, Videos immer mit Untertiteln zu versehen, um sie zugänglicher zu machen. Damit Post und Kanal insgesamt sichtbarer werden, hilft es, Influencer zu bitten, den Account zu teilen. Hier können auch gut die positiven Kundenstimmen der Webseite als kurze Videos oder Reels eingebunden werden, um Neukundschaft zu generieren. Sanitätshäuser sollten regelmäßig Content produzieren, in die Interaktion gehen, Diskussionen anregen und auf Kommentare antworten. Follower möchten sehen, dass hinter dem Social-Media-Profil eines Sanitätshauses echte Menschen stehen.“

 

Wie kann das im Geschäftsalltag umgesetzt werden?

„Es geht darum, Inhalte mehrfach zu verwenden und mit minimalem Aufwand maximalen Effekt zu erreichen. Beispiel ‚Kompression im Sommer’: Das Sanitätshaus hat einen Aktionstag zu diesem Thema veranstaltet und dazu einen längeren Artikel erstellt, der im News-Bereich der Internetseite oder im Blog erscheint plus im nächsten Newsletter an Kunden verschickt wird. Als Pressemitteilung geht der Text leicht abgeändert an die lokalen Medien. Auch eine Broschüre zum Thema ist denkbar.

Zusätzlich werden für Facebook und Instagram Posts sowie Videos angefertigt, die je einen Teilbereich abdecken wie: Welche Hautpflege ist im Sommer bei Kompression zu empfehlen? Schadet es medizinischen Kompressionsstrümpfen, sie im Meer oder Schwimmbad anzulassen? Wie sind Kompressionsstrümpfe modisch im Sommer zu kombinieren? Was ist auf Reisen im Auto, Zug oder Flugzeug zu beachten? Zum Thema sind auch Gewinnspiele auf Social Media hilfreich, um die organische Reichweite zu erhöhen, oder ‚Fragen und Antworten’. So bauen Sanitätshäuser leichter eine persönliche Beziehung zu ihren Followern auf und steigern Sympathie und Vertrauen. Außerdem fördert dies den Austausch.“

 

Gibt es weitere interessante Ansatzpunkte?

„Grundsätzlich sind viele Menschen unterversorgt. Sie leiden beispielsweise jahrelang unter Schmerzen an den Füßen, holen sich jedoch keinen medizinischen Rat ein. Weshalb nicht in einem Social-Media-Post fragen, wer Schmerzen bei längeren Spaziergängen oder Wanderungen verspürt? Und als Therapiemöglichkeit orthopädische Einlagen anbieten, die Füße stützen und stabilisieren sowie Fehlstellungen ausgleichen können – und so Beschwerden lindern. Im Post sollte die entsprechende Indikation getaggt sein, zum Beispiel #lipödem, ebenso wie die Stadt, in der das Sanitätshaus tätig ist.

Dies lässt sich auf andere Produkte und Indikationen beliebig übertragen. Natürlich müssten potenziell Betroffene ärztlich immer abklären, inwiefern die vorgestellten Therapieoptionen für sie tatsächlich sinnvoll sind. In einer Welt, die von Content überflutet wird, sind Sanitätshäuser gut beraten, originell und anders zu sein, um herauszustechen.“

 

Stichwort originell, wie relevant ist TikTok für Sanitätshäuser?

„TikTok ist mehr als nur Tanzvideos und steht für Kreativität, Vielfalt sowie Diversität. Zwar spricht die App hauptsächlich eine junge Zielgruppe an, aber diese kann für Sanitätshäuser einen großen Wert haben, auch hinsichtlich Employer Branding und Fachkräfte-Recruiting. Der Vorteil: TikTok wächst rasant und ist eine große Spielwiese, auf der sich jeder austoben kann. Wer unterhaltsam ist, überraschenden und witzigen Content liefert, kann schnell eine große Sichtbarkeit erreichen, da keine Abhängigkeit von Follower-Zahlen besteht.“

 

Würden Sie Sanitätshäusern empfehlen, in Social-Media-Werbung zu investieren?

„Wer als Unternehmen in den sozialen Netzwerken erfolgreich sein möchte, kommt um Social-Media-Advertising nicht herum. Mit relativ wenig Budget kann eine breite Masse an potenziellen Kunden zielgerichtet angesprochen und die Reichweite erhöht werden. Vorteil: Die Werbung kann lokal, nach Umkreis, Stadt oder Postleitzahl ausgespielt werden.“

 

Sie haben anfangs erwähnt, dass Kunden beziehungsweise echte Fans gerne weitere Angebote und Folgeprodukte kaufen. Haben Sanitätshäuser hier ungenutztes Potenzial?

„Auf jeden Fall! Kommen Kunden mit einem Rezept für eine medizinische Kompressionsversorgung, ist es nur naheliegend, ihnen auch modische Extras vorzustellen, etwa einen Po-Forming-Zusatz. Diese Zusätze werden von den Krankenkassen nicht übernommen, können aber Betroffenen helfen, sich selbstbewusster zu fühlen. Großes Potenzial haben ebenfalls freiverkäufliche Produkte wie Strumpf- und Hautpflege oder Anziehhilfen. Letztere können bei medizinischer Notwenigkeit sogar verordnet werden.

Zu empfehlen sind ergänzende Produkte, die den Patienten beim täglichen Handling mit den medizinischen Hilfsmitteln unterstützen und ihnen ein gutes Gefühl vermitteln. Dies fördert das regelmäßige Tragen, den Behandlungsverlauf und langfristig den Therapie-Erfolg. Benötigen Kunden eine Bandage, sind sie vielleicht ebenso interessiert an Kinesio-Tapes, Igel-Bällen zur Massage oder Büchern mit Trainingsübungen. Es gilt, ein schlüssiges Sortiment anzubieten und Produktpakete zu schnüren, die relevant sind und den Umsatz steigern.“

 

Wie sieht es mit Networking-Events aus? Sind diese in Anbetracht der Digitalisierung relevant für Sanitätshäuser?

„Social Media spielt unbestritten eine wichtige Rolle beim Vernetzen mit anderen Personen. Doch trotz aller Digitalisierung ist die Face-to-Face-Kommunikation für den Austausch und die Bildung von Geschäftsbeziehungen unverzichtbar. Gerade in der Lip- und Lymphödem-Community ist ein lokales Netzwerk für alle Beteiligten eine Bereicherung! Gibt es beispielsweise noch kein Lymphnetzwerk vor Ort, kann ein Sanitätshaus hier die Initiative ergreifen.“

 

Wie könnte das aussehen?

„Ein Netzwerkabend eignet sich hervorragend, um Lip- und Lymphödem-Betroffene, Therapeuten, Fachkräfte der Lymphologie und medizinisches Personal zusammenzubringen. Je nach Format können Referenten eingeladen werden für Impuls- und Wissensvorträge. Auch Podiumsdiskussionen sind zielführend, um in den Austausch zu kommen, neue Menschen kennenzulernen und sich von diesen inspirieren zu lassen. Eine Veranstaltung pro Quartal fände ich sinnvoll.“

 

Vielen Sanitätshäusern fehlt aufgrund des Fachkräftemangels Zeit für ihr Kerngeschäft. Wie ist ein Netzwerk-Abend trotzdem realisierbar?

„Dann kann die Möglichkeit spannend sein, mit einem anderen Sanitätshaus zu kooperieren und sich die Organisation zu teilen oder sich mit anderen Häusern in der Region abzuwechseln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wertvoll es ist, von den Erfahrungen anderer zu profitieren und zu merken, wie gut allen Beteiligten der fachliche Austausch tut. Die Community kann davon nur profitieren!“

Liebe Frau Sprott, herzlichen Dank für die Tipps und Impulse zum Thema Marketing für Sanitätshäuser.

Caroline
Foto: medi
Caroline Sprott ist Model, Unternehmerin und „Healthfluencerin". Seit über zehn Jahren lebt sie mit der Diagnose Lipödem.
Foto: Karolina Grabowska/Pixabay
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