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Auf der Suche nach praktischen Lösungen
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Die Möglichkeiten der Sonderzulassungen nach Artikel 59 MDR beleuchtete Dr. Wolfgang Lauer, Abteilungsleiter Medizinprodukte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
Dauerbrenner Sonderzulassung
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Eine Sonderzulassung durch das BfArM in Deutschland stelle eine Ausnahmeregelung für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten dar. Anwendbar sei sie in Fällen eines akuten, alternativlosen Bedarfs und Versorgungsmangels für Patienten. Die Verwendung des Produktes müsse also entsprechend im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit und -gesundheit liegen.
Dr. Lauer verwies darauf, dass zwischen Sonderzulassungen für individuelle Patienten oder größere Patientengruppen unterschieden werde. Die Sonderzulassung sei dabei mit Auflagen verbunden, beispielsweise zur Befristung oder zu Kundeninformationen über Risiken. „Sie ist aber kein alternativer Marktzugangsweg für Medizinprodukte“, betonte Lauer.
Neu gegenüber früheren Regelungen ist, dass die EU-Kommission zusätzlich die Sonderzulassung für einen begrenzten Zeitraum auf das gesamte Gebiet der EU ausweiten und die entsprechenden Bedingungen festlegen kann. Das BfArM werde dieses Instrument in Deutschland auch weiterhin bei akutem Bedarf anwenden, um die entsprechende Versorgung von Patienten zu ermöglichen – beispielsweise bei alternativlosen Medizinprodukten für Kinder.
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Orphan Devices – Lösungsoptionen in der Diskussion
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Lösungsansätze für Medizinprodukte für seltene Erkrankungen (Orphan Devices – OD) stellte Dr. Matthias Neumann vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor. Das Ministerium habe früh festgestellt, dass es für diese Produkte Probleme mit den hohen Anforderungen der MDR an die klinische Evidenz geben kann. Deutschland habe deshalb den Weg der nationalen Sonderzulassung für die Produktgruppen über das BfArM beschrieben. Dies sei aber keine gute EU-weite Lösung.
In Europa hätten entsprechend nötige Überlegungen allerdings bis zum Aufschrei insbesondere der Kinderkardiologen auf sich warten lassen. Auf EU-Ebene wurde eine Task Force „TF Orphan Devices“ eingerichtet, die vom BMG geleitet wird. Definiert wurden laut Dr. Neumann Orphan Devices in Anlehnung an die FDA mit einer jährlichen Inzidenz von nicht mehr als 1 in 37.000 pro Jahr in der EU. Das entspreche rund 12.000 Patienten pro Jahr.
Die Analyse der OD-Task Force habe gezeigt, dass das Problem weniger alarmierend als geschildert sei. Die große Mehrheit der bestehenden OD seien in der Rezertifizierung. Und es habe nur wenige Berichte über Schwierigkeiten mit den Benannten Stellen in Bezug auf die neuen Anforderungen an den klinischen Nachweis gegeben.
Als Lösung schlage die Task Force eine bedingte Zertifizierung von OD (Zertifikate mit Auflagen) vor.
Ähnlich wie beim FDA-Ansatz müsse der Hersteller den Nachweis für die Sicherheit erbringen, jedoch nicht den vollständigen Nachweis zur klinischen Leistung des Produkts, erläuterte Neumann. Zu den Auflagen gehören die Einhaltung eines ordnungsgemäßen PMCF-Plans. Dieser müsse sicherstellen, dass ein geeigneter vollständiger klinischer Nachweis in Kürze erstellt werde – in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachgesellschaften, die beispielsweise geeignete Register betreiben.
Laut Dr. Neumann könnten zudem Artikel 59 MDR in „sehr speziellen Situationen“ notwendig sein. Mittelfristig könnte eine Definition von OD in die MDR eingeführt und die Anforderungen an den klinischen Nachweis für OD angepasst werden. Außerdem könnte ein spezifisches Konformitätsbewertungsverfahren zumindest für implantierbare OD und Klasse III-OD geschaffen werden.
Pragmatischer Umgang bei Bestandsprodukten
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Prof. Dr. Matthias Gorenflo, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am Universitätsklinikum Heidelberg, schilderte das Problem der Orphan Devices aus klinischer Sicht. Er kritisierte, dass es im europäischen System keinerlei Anreize gebe, Produkte für seltene Erkrankungen und kleine Fallzahlen zu entwickeln.
Gorenflo plädierte für Vergünstigungen mit Blick auf eine erweiterte Zulassung eines Bestandsproduktes ähnlich wie bei Arzneimitteln. „Orphan Devices müssen und sollen entwickelt werden. Realistisch ist es nur mit einer staatlichen Förderung ähnlich der in den USA“, so der Kliniker.
Registerdaten sollten niederschwellig verwendet werden, um zulassungsrelevante Daten über lange Verläufe für Medizinprodukte zu gewinnen. Die wesentlichen Daten seien dafür in Deutschland leicht zu generieren.
Stress-Test für Benannte Stellen
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Julia Hoyer, Head of Regulatory Affairs beim TÜV Süd Product Service, gab einen Einblick in die aktuelle Bearbeitungssituation bei den Benannten Stellen. Der TÜV Süd sei weiterhin mit Richtlinien-Zertifikaten (AIMDD und MDD) beschäftigt. Vorliegende MDR-Initialanträge der Hersteller deckten dabei nicht immer das ganze Produktportfolio ab, sodass noch Folge-Initialanträge für zusätzliche Produkte zu erwarten sind. Hinzu kommen die jährlichen MDR-Überwachungstätigkeiten.
Die knappste Ressource bei den Benannten Stellen seien dabei die Fachexperten, die die technischen Dokumentationen bewerten. Hier sei es hilfreich, weniger analog und „mehr digital“ zu arbeiten. Hoyer stellte drei Verbesserungen vor, „die bereits jetzt greifen“:
- Vor-Ort-Audits sind nach wie vor Pflicht, Auditoren und Experten können jedoch remote dazugeschaltet werden.
- Benannte Stellen können bisherige Richtlinien-Prüfnachweise aus MDD- und AIMDD-Bewertungen für MDR-Bewertungen heranziehen, etwa Prüfberichte zur Sterilisationsvalidierung oder zur elektrischen Sicherheit.
- Neubewertungen von Benannten Stellen werden aktuell von 3 auf 5 Jahre gestreckt, um die Stellen und Behörden zu entlasten. Die Bewertungen müssen jedoch ab 2024 nachgeholt werden.
Zahl der Benannten Stellen: Licht und Schatten
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Positive Entwicklungen sieht Frank Matzek, Vice President Regulatory and Governmental Affairs bei Biotronik, bei den Benannten Stellen. Denn mittlerweile hätten 62 Stellen einen Antrag auf Benennung unter der MDR gestellt. Aktuell sind allerdings erst 34 Stellen designiert. Das BMG schätze, dass bis Ende des Jahres 36 Stellen und bis Ende Mai 2024 insgesamt 42 Benannte Stellen designiert sein werden.
Problematisch sei aber, dass von den insgesamt rund 25.000 Zertifikaten „zur Halbzeit der Übergangsfrist weniger als 10 Prozent in die MDR überführt wurden“, so Matzek. Knapp drei Viertel der Zertifikate laufen dabei im Jahr 2024 aus. „Das kann mit Blick auf die Verdopplung der Bearbeitungsszeiten nicht gutgehen“, erklärt der Regulatory-Experte.
Frank Matzek, Biotronik. Foto: BVMed Dr. Matthias Neumann, BMG. Foto: BVMed Wolfgang Lauer, BfArM. Foto: BVMed Julia Hoyer, TÜV Süd Product Service. Foto: BVMed Prof. Dr. Matthias Gorenflo, Uni-Klinikum Heidelberg. Foto: BVMed